Wir haben uns mit Avi Fichtner von spielbank.com über Jecken, Chutzpe und Lederhosen zu Marketingzwecken unterhalten.
GF: Erläutere unseren Lesern in drei Sätzen, was du genau machst bzw. was für ein Geschäftskonzept du verfolgst?
A.F.: Ich bin im Bereich der Informationen und Erfahrungsberichte unterwegs. Interessierte Leser finden auf meinen Seiten Inhalte zu verschiedenen Aspekten des Glücksspiels. Der Traffic wird über Werbelinks „monetarisiert“. Meine am weitesten entwickelte Domain ist www.spielbank.com.de.
GF: In Deutschland müssen Startups viele Hürden überwinden, um erst einmal zu gründen. Ist das Gründen in Tel Aviv einfacher?
A.F.: Ich denke nicht, dass es in Deutschland schwerer ist zu gründen als in einem anderen Land. Eine GmbH oder eine Firma in einer andere Rechtsform lässt sich relativ einfach einschreiben. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass es in Deutschland schwieriger ist, Dienstleister zu werden, da es viele Auflagen gibt, die es zu erfüllen gilt: Zertifikate, Feuerschutz oder bauliche Restriktionen.
Bei den Banken sehe ich keine großen Unterschiede zwischen Deutschland und Israel: Banken sind Startups gegenüber nicht per se wohlwollend eingestellt, um es diplomatisch auszudrücken. Wie in Deutschland muss man Klinken putzen und einen guten Businessplan haben, um an Geld zu kommen.
Einfacher wird es aber tatsächlich im Bereich das Wagniskapitals (Venture Capital) oder Seed Capital. Es gibt hier viele spezialisierte Unternehmen und Privatpersonen, die Newcomer unterstützen. Venture Capital wird gemeinhin als wichtigster Hebel für die israelische Startup Industrie bezeichnet.
Noch einfacher wird es, wenn man schon ein erfolgreiches Startup gegründet hat. Dann ist es viel einfacher, Geld einzusammeln, weil es einen Vertrauensvorsprung gibt. Aus meiner Sicht, ist Israel zu einer Startup Nation geworden, weil es selbst ein Startup ist.
GF: Ist es für Startups in Tel Aviv einfacher, einen Investor für sich zu gewinnen?
A.F.: Sofern die Idee stimmt, ist es in Israel einfacher an Geld zu kommen. Dazu muss der Entrepreneur aber etwas zeigen können. Wenn es um eine Anwendung geht, muss diese funktionieren und Besucher anziehen. Es ist ein bisschen wie in dem Film über Mark Zuckerberg: die erste Version von Facebook lässt die Server der Uni zusammenbrechen. Einen besseren Indikator, dass es funktioniert, gibt es nicht. Und dieses Interesse muss man mit seinem Startup erzeugen. Sei es beim Kunden oder bei Investoren.
GF: Warum sind so viele bekannte Onlineanbieter in Tel Aviv ansässig?
A.F.: In Berlin benutzt man ja immer noch den jüdischen Ausdruck „Chutzpe“. Chutzpe kann man mit „Frechheit“ ins Deutsche übersetzen. „Frechheit“ ist aber nur die Hälfte der Übersetzung, denn Frechheit ist als Ausdruck ja negativ besetzt. Vielleicht ist „Traute“, ebenfalls berlinerisch, die bessere Übersetzung. Man muss die Traute haben, eine Anwendung auf den Markt zu bringen und damit die etablierten Firmen anzugreifen. Diese Chutzpe bekommen Israelis in die Wiege gelegt. Das durchdringt den Alltag aber auch im negativen Sinne: als Europäer steht man häufig fassungslos vor den „dreisten“ Israelis, die sich einfach vordrängeln und dann einfach sagen: „Ah, Dich habe ich ja gar nicht gesehen.“
Ich persönlich denke, dass es auch der Mangel an Alternativen war. Abgesehen von landwirtschaftlichen Produkten und einigen Waffen hatte Israel nicht viel zu exportieren. Mit den Nachbarländern gibt es zudem kaum Warenaustausch. Das Land hat in den 90er Jahren einfach die Chancen des Internets genutzt: Anwendungen lassen sich plötzlich aus einem Büro in Tel Aviv in die ganze Welt verkaufen. Es gab dabei noch einen weiteren glücklichen Umstand: Mit dem Zerfall der Sowjetunion sind viele Mathematiker und Programmierer aus Russland nach Israel gekommen. Israelisches Unternehmertum und russische Programmierer haben Israel zu einer Startup Nation gemacht.
GF: Warum hast du dich für den Bereich Glücksspiel entschieden?
A.F.: Ganz ehrlich? Weil ich ein Zocker bin. Mich hat Glücksspiel schon immer fasziniert und ich habe auch andere Formen des Glücksspiels ausprobiert, zum Beispiel Handel mit Aktien oder Forex. Wichtig ist, zu verstehen, dass man nicht gewinnen kann. Über meine ersten Jobs hier in Israel bin ich dann in die Branche hineingerutscht.
GF: Welche Tips kannst du deutschen Firmen geben, die nach Israel expandieren wollen?
A.F.: Überlegt es Euch gut. Der Markt ist relativ klein. Israel hat etwas mehr als acht Millionen Einwohner und eine andere Sprache und Kultur. Auf der anderen Seite sind deutsche Produkte und deutsches Know-how hier gefragt und daran sollte man anknüpfen. Müller hat hier in Israel mit Lederhosen für seinen Joghurt geworben. Es ist als Deutscher manchmal seltsam, zu sehen, wie deutsches typisiert wird, um Vertrauen in anderen Kulturen zu erzeugen. Sauber, ordentlich, gut organisiert und Lederhosen.
Der wichtigste Aspekt aber ist gute Beratung. Sie brauchen einen guten Berater, am besten mit jeckischen Wurzeln. „Jecke“ sind deutsche Einwanderer unserer Urgroß- und Großmuttergeneration. Die Männer sind auch bei 30 Grad Hitze nur mit Jacket aus dem Haus gegangen, daher „Jecke“. Das Land hat viel von der Kultur seiner Gründer abgelegt. Aber viele Menschen in Israel haben ihre jeckischen Großeltern noch kennengelernt. Sie sollten Berater aus solchen Familien suchen, denn die können Ihnen die aktuelle Kultur erklären, weil sie beide Kulturen kennen.
Wie geht man in Israel mit dem Thema Scheitern um?
A.F.: Wir scheitern nicht. Wenn wir scheitern, sind wir tot. Es kann aber passieren, dass eine Idee nicht funktioniert. Dann muss man von vorne anfangen, sei es als normaler Arbeitnehmer oder mit der nächsten Idee.
Das Lebensgefühl hier ist stark auf das Hier und Jetzt ausgerichtet. Das ganze Land fühlt sich ein bisschen wie im Survial Modus. Das kommt auch ein Stück weit aus den Strukturen des Militärs. Israel ist ein Startup und Kinder werden mit dem Startup Gefühl groß: vieles ist noch unperfekt, großes Wachstum, viele Kinder, aber auch gefühlt eine ständige Bedrohung von Außen.
Ich bin eigentlich selbst ein Beispiel: der Arbeitsmarkt in Israel hat keine großen Möglichkeiten für mich eröffnet. Finanziell wäre es immer schwierig geblieben. Auf Hebräisch anständig Schreiben kann ich immer noch nicht. Selbstständigkeit als Chance, war und ist für mich eine wichtige treibende Kraft. In Deutschland hätte ich es vermutlich nicht gemacht. Ich habe einen guten Zeitpunkt gewählt: nach der Geburt meines ersten Kindes. Da war genug Berufserfahrung gesammelt und die Motivation hoch, denn es ging nicht mehr nur um mich, sondern auch um meine Kinder. Die sind ja eine Art “erweitertes Ich”.
Es gibt in Israel natürlich auch echtes Scheitern: Verbindlichkeiten nach einem gescheiterten Startup und die damit verbundenen Probleme. Hier greifen in vielen Fällen die Familienstrukturen. Eltern können ja nicht nur finanziell helfen. Für eine Wohnung zur Miete können Eltern beispielsweise eine Bürgschaft unterschreiben. Wenn das Haus der Eltern groß genug ist, kann das Startup auch ins Haus der Eltern einziehen. Die Familienbande sind sehr stark hier.
GF: Wie steht das Ökosystem in Israel zu Bitcoins Blockchain und Virtual Reality?
A.F.: Neue Technologien werden in Israel weniger hinterfragt als in Deutschland. Schon in den 90er Jahren haben viele Menschen im Bus telefoniert. Da war das in Deutschland noch sehr ungewohnt. Die Großeltern meiner Kinder hier kommen auch sehr gut mit Smartphones klar. Generell werden neue Technologien hier schneller integriert. Hinsichtlich VR – ich habe mich nicht wirklich damit beschäftigt, kenne aber drei Startups, die an Anwendungen arbeiten. Im Alltag sind Bitcoins hier noch nicht angekommen.
GF: Welche Tools würdest du unseren Gründern empfehlen?
A.F.: Als ich Deutschland verlassen habe, bin ich zu den Gründern der Firma gegangen, in der ich gearbeitet habe. Ich habe gefragt, warum die beiden erfolgreich geworden sind. Er antwortete, es sei einfach Wille. Sie antwortete, es seien Kontakte. Das habe ich immer noch nicht vergessen. Es ist eine Menge dran an den Aussagen. Entsprechend denke ich nicht, dass es auf Tools ankommt, sondern auf Planung und die Einstellung.
Wenn man Geld von zu Hause aus mitbringt, ist es sicherlich einfacher, mit einem Startup zu beginnen. Die Arbeitszeit wird in der ersten Zeit ja nicht oder nur kaum entlohnt. Ich denke, dass es hier ein Problem gibt. Um richtig loslegen zu können, muss man viel Zeit investieren. Ich habe daher neben meiner normalen Arbeit Nachtschichten gemacht. Nachdem ich dann endlich Vollzeit losgelegt hatte, hatte ich aber immer noch einen Teilzeitjob, um mein Startup zu finanzieren. Darauf sollte man vorbereitet sein. Theoretisch ist es ja auch möglich, die Kernarbeit für das Startup in einem Land zu machen, wo es sich günstiger leben lässt als in Deutschland.