Ein erfolgreicher Online-Shop für Trachtenmode – der ist doch bestimmt in Bayern beheimatet, etwa in Garmisch-Partenkirchen, oder? Falsch, Limberry kommt aus dem hohen Norden. Dabei hatte das Hamburger Startup lange Zeit Probleme, erst das Umschwenken auf das heutige Geschäftsmodell brachte den Durchbruch. Wir haben die Gründerin Sibilla Kawala besucht.
Mass Customization – auf Deutsch nennt sich das kundenindividuelle Massenanfertigung – das ist die Grundidee, mit der 2010 Limberry gegründet wurde und 2011 an den Start ging. Gründerin Sibille Kawala hatte BWL studiert und sollte eigentlich mal den Stahlhandel der Familie übernehmen, doch dann konnte sie ihren Vater davon überzeugen, dass sie ihr Glück viel eher in einem eigenen Unternehmen finden würde. Und ihr Konzept dafür schien allen, die davon hörten, eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit zu haben.
Über einen Konfigurator konnten die Kundinnen ihre Größe individuell angeben und sich Kleidungsstücke selbst gestalten. Ob Farben, Stoffe, Knöpfe, Kragenform oder Innenfutter, je nach Stück ließen sich alle möglichen Details beliebig auswählen und miteinander kombinieren. Die Presse fand das toll, Preise gab es reichlich, und auch die Webseite wurde ordentlich besucht, aber dann: Kaum jemand nutzte das Angebot und bestellte tatsächlich eine dieser Maßanfertigungen.
Limberry-Gründerin Sibilla Kawala trägt selber gern Dirndl
Am besten lief noch ein Dirndl, das eben auch in der Kollektion war, aber eigentlich nicht im Mittelpunkt stand. Also erweiterte Sibilla das Sortiment um weitere Trachtenmodelle und machte diese zu ihrer Kernkompetenz, neben Mass Customization, denn daran hielt sie weiter fest. Unterdessen wurden die roten Zahlen immer größer, so dass sie sich schon 2013 selbst fragte, ob sie weitermachen könne oder aufgeben müsse. Sibilla beschloss, es bis Ende 2014 zu versuchen.
Die eigenen Ersparnisse waren inzwischen aufgebraucht, und sie konnte ihre Rechnungen kaum noch bezahlen, da kam ihr die rettende Erkenntnis: Der Konfigurator ist zwar ein schönes Lockmittel, um Trachtenfans auf ihre Seite zu bekommen, doch um wirklich Umsatz machen zu können, muss sie auch fertige Kleidungsstücke anbieten, aus einer eigenen Kollektion und von anderen Produzenten, und das alles in Premiumqualität.
Liebevolle Details sind ein Markenzeichen von Limberry
Erstaunlicherweise gab es dieses Shopkonzept so noch nicht, und daher gelang es ihr, Labels, die eigentlich Konkurrenten sind, als Partner zu gewinnen. Im Mai 2014 wagte Sibilla den Relaunch, und es dauerte nur wenige Wochen, bis sich das Risiko bezahlt machte. Seitdem wachsen die Umsätze stetig, mit Kunden bis nach Japan, wobei die meisten erwartungsgemäß in Süddeutschland und Österreich leben. Im gleichen Takt wächst auch das Unternehmen. War Limberry bis zum Neustart im Prinzip ein Ein-Frau-Unternehmen, beschäftigt es inzwischen insgesamt acht Personen.
Dazu gehört auch Sibillas Mutter, und das ist in mehrfacher Hinsicht naheliegend, denn Firmensitz ist bisher das eigene Elternhaus, in dem inzwischen hunderte, wenn nicht tausende Trachten und Accesoires lagern. Raum um Raum wurde dafür umfunktioniert, so dass es Zeit wird, in eigene Geschäftsräume umzuziehen. Am 1. August soll es soweit sein, ein ebenso schönes wie zweckmäßiges Loft ist dafür vorgesehen.
So kam es also dazu, dass eine gebürtige Hamburgerin heute eine erfolgreiche Trachtenexpertin ist – eher durch Zufall und als Ergebniss eines Lernprozesses. „Ich hatte zwar ein ausgefeiltes Konzept, aber nicht überprüft, ob es dafür überhaupt eine Nachfrage gibt“, resümiert sie. „Heute weiß ich: Man muss erst geklärt haben, ob eine Nachfrage besteht, und dann das Konzept erarbeiten.“ Der Konfigurator gehört nach wie vor dazu, doch wirklich durchgesetzt hat er sich bisher bei keinem Anbieter.
Noch dient das Elternhaus als Firmensitz
Ein wichtiges Anliegen ist es Sibilla, auch ihre Rolle als Frau in der Startup-Welt anzusprechen. Zwar hat sie sich letztlich etabliert, ist sich aber auch sicher: „Mit dem gleichen Wissen wäre ich als Mann schon wesentlich weiter.“ Als Frau müsse man sich viel stärker beweisen, bei Männern werde eher davon ausgegangen, dass sie es können. So habe sie sich bei Gründerveranstaltungen oft unter verstärkter Beobachtung gefühlt und Bewunderung, aber auch Ablehnung gespürt.
Trotzdem ist die 32-jährige optimistisch: „Wir sind die Frauengeneration, die es auch in Vorstände schaffen kann.“ Dabei ist Karriere für Sibilla nicht alles, die Familie ist ihr mindestens ebenso wichtig. Daher sieht sie grundsätzlich den Konflikt, der aus dem Wunsch nach einem eigenen Unternehmen und dem Wunsch nach Kindern entstehen kann. Beide gleichzeitig mit der gleichen Konsequenz und Leidenschaft zu erfüllen, scheint ihr kaum machbar.
Zum Glück ist Limberry inzwischen auf der Erfolgsspur und kostet nicht mehr soviel Energie wie in den schwierigsten Zeiten, sodass Platz für eine eigene Familie wäre. Ein weiteres Baby ist bereits auf der Welt: Ihre Doktorarbeit, natürlich zum Thema Mass Customization, hat Sibilla gerade vollendet, und bei den praktischen Erfahrungen, die da hineingeflossen sind, sind wir optimistisch: die kann nur gut geworden sein.
Bild ganz oben: Sibilla Kawala präsentiert ihre Dirndlkollektion