Bei Thomas de Maizières Auftritt auf der re:publica 2017 waren Buhrufe zu hören. Sie galten allerdings nicht dem Empfänger der 10 Leitkultur-Gebote de Maizière, sondern Patrick Schiffer, dem Bundesvorsitzenden der Piratenpartei. Er wollte dem Innenminister den „Golden Shit-Preis“ verleihen, was das Publikum lautstark abstrafte.
Zwar stießen de Maizières Positionen zu Netzneutralität „Tarnkappen gibt es nur bei Harry Potter“ und seine Forderungen zur erweiterten Vorratsdatenspeicherung „Datenpolitik aus einem Guss“, nicht unbedingt auf Gegenliebe bei den Besuchern der re:publica – Schiffers Negativität allerdings noch weniger, verstieß sie doch gegen das Motto der Digitalkonferenz: Love Out Loud hieß es für die 11. re:publica in Berlin. Der Slogan, das Gegengift zu Hate Speech und Intoleranz, ein Plädoyer für Liebe und offenen Diskurs, digital und analog.
Auf dem diesjährigen Programm standen knapp 800 Redner aus über 60 Ländern: WissenschaftlerInnen, HackerInnen, Social Media- und Marketing-ExpertInnen sowie Aktivisten referierten u.a. über Fake-News, Hate Speech, die Macht der Algorithmen, neue Technologien und die Bedrohung der Pressefreiheit – es ging um fundamentale Werte der westlichen Zivilisation und wie man deren Bedrohung entgegentreten kann/soll/muss.
Für die Pressefreiheit
Pressevertreter aus Ländern wie der Türkei, Ägypten, Ungarn sowie der russische Oppositionelle und Schachheld Gary Kasparov, riefen dazu auf, die Pressefreiheit zu schützen und zusammenzustehen – gegen Zensur und Unterdrückung.
Der türkische Medienmacher Can Dündar zeigte Bilder der Zelle des inhaftierten deutschen Journalisten Dennis Yücel. Er bat das Publikum, die inhaftierten Kollegen zu unterstützen. Die Besucher waren sichtlich gerührt, und drückten das in einer minutenlangen Standing Ovation aus.
Der Ungar Márton Gergely, vormals Vize-Chefredakteur der ungarischen Tageszeitung „Népszabadság“, schilderte die Situation der Presse in seinem Land. Unter Viktor Orbán, sei die Zeitung, für die er jahrelang tätig war, einfach geschlossen worden. Die ungarische Presse sei zudem untereinander zerstritten, sodass sie nicht zusammenstünde, um der Bedrohung von oben die Stirn zu bieten. Dazu sagt man wohl „divide and conquer“.
Die Forderungen der re:publica 2017
„Fuck yeah, wir dürfen das Internet nicht den Arschlöchern überlassen“, sagte re:publica-Gründerin Tanja Häusler zu Beginn und ihr Kollege Markus Beckedahl ergänzte: „Es ist unsere digitale Gesellschaft. Wir müssen sie gestalten“. Man dürfe die Augen nicht verschließen und müsse sich behaupten gegen Hass. Aber wie der Desillusionierung durch tägliche Beschallung mit negativen Nachrichten entgegenwirken? Diese Antwort blieb die re:publica 2017 schuldig.
Fake News vs. Fact-Checking
Auch Fake News waren natürlich ein brandheißes Thema der Konferenz. Dr. Rasmus Kleis Nielsen, Director of Research am Reuters Institute für Journalistik an der Universität von Oxford, referierte und sinnierte über Falschmeldungen und ihren Nährboden. Laut einer Reuters-Studie liegt das Problem in der Nachrichtenrezeption der Millenials: 18- bis 24-Jährige zögen Social Media als Informationsquelle dem Fernsehen vor.
„Wenn sich die Leute von ‚echten Nachrichten‘ abwenden, öffnen wir den Raum für Fake News“, erklärte Nielsen. Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass auch das Fernsehen in der Vergangenheit Falschmeldungen aufgegriffen hatte, deutlich weniger, aber dennoch.
.@tagesschau fällt auf den offensichtlichen Aprilscherz von @badischezeitung rein. Wozu eine Anti-Fake-News-Einheit? https://t.co/h1QeuanJ5t pic.twitter.com/76aAcZjvo5
— Daniel Laufer (@DanielLaufer) April 6, 2017
Max Hoppenstedt, Chefredakteur von Motherboard Deutschland, dem Technologie- und Wissenschaftsmagazin von VICE, geht einerseits optimistisch, andererseits analytisch an die Sache: „Fake-News sind keine Naturgewalt, die plötzlich über uns gekommen ist und der wir jetzt machtlos ausgeliefert sind“, erklärt Max Hoppenstedt. „Man kann dieses Phänomen differenzieren, analysieren, auseinander nehmen. Fake News – das ist nicht alles dasselbe.“
Die re:publica 2017: illustrierte Algorithmen
Vladan Joler, Direktor der Share Stiftung und Vorsitzender des Lehrstuhls für Neue Medien im serbischen Novi Sad, wagte den Versuch Algorithmen zu illustrieren. Joler und sein Kollege Djorde Krivokapic projizierten eine Darstellung an die Wand, die einer riesigen Landkarte mit kleinen Örtchen und Abzweigungen glich. Ein Versuch das abstrakte Gebiet der Algorithmen greifbarer zu machen. Ein gelungener Versuch? Machen Algorithmen weniger Angst, wenn man sie besser versteht? Und ist der Mensch überhaupt in der Lage seine eigene Kreation zu beherrschen oder beherrscht sie längst uns?
Joler und sein Team haben sich anderthalb Jahre lang mit dem Facebook Algorithmus befasst und zugesehen, wie er Daten sammelt. Der Algorithmus weiß, wann jemand aufsteht, Mittagspause macht und wo er gerne Kaffee trinkt. Die Maschine werde ständig von den Nutzern selbst gefüttert. Joler warnte, dass jede auf Facebook verbrachte Minute, dem Unternehmen helfe, seine Daten zu erweitern und den Algorithmus zu verfeinern. Er sehe das Problem vor allem darin, dass die Nutzer die Spielregeln des “massiven Überwachungskapitalismus” akzeptierten.
Redet miteinander!
Zum Thema Hate Speech wurde die Rede von Autor und Blogger Sascha Lobo mit Spannung erwartet, ist er doch bekannt für seine deutlichen Worte. Er legte eine Strategie zum Umgang mit Hatern und Hetzern vor: „Wir haben gesehen, dass Debatten eine Wirkmacht haben“. Man solle das Gespräch mit vermeintlich politisch Rechten suchen, um so die Demokratie zu stärken, sagte Lobo und sprach aus eigener Erfahrung, die er in einer bald erscheinenden Dokumentation filmisch aufbereitet hat.
Wie geht man mit Trollen um? Darüber referierte Luca Hammer. Wer sind Trolle? Leute, die provokante bzw. hasserfüllte Kommentare in sozialen Netzwerken verbreiten, um zu provozieren. Hammer berichtete in seiner Rede „Mit den Trollen ums Datenfeuer tanzen“„Mit den Trollen ums Datenfeuer tanzen“ von seinen persönlichen Erfahrungen mit Trollen. Hammer sagte, zum Erstaunen vieler, dass die Gruppe eher links als rechts sei. Der Spaß am Regelverstoß sei es, um den es gehe. Sein Rat: Trolle ignorieren und ggf. diffamierende Posts melden, sie aber bloß nicht blocken, denn darum gehe es den Provokateuren.
Return on Investment bei Frauen höher
Auch Feminismus war ein Thema auf dem sogenannten Klassentreffen der digitalen Avantgarde. Das Panel „The future is female- Tech founders redefining the rules“ zeigte auf, dass nur 9 % der weltweiten Tech-Start-ups von Frauen gegründet werden, andererseits zeigt eine aktuelle Studie, dass der Return on Investment um 35 % höher sei, wenn das Tech-Start-up in weiblicher Hand ist.
#femfact: Mit 46 Prozent waren knapp die Hälfte der Redner auf der diesjährigen re:publica Frauen.
Etliche interessante Vorträge zu den verschiedensten Themen, die alljährliche FOMO beim Publikum und Input, Input, Input – aber unbedingt die gleiche Grundhaltung: Die re:publica 2017 sprach sich deutlich gegen Hass und für mehr Diskurs, für die Freiheit, gegen Lethargie und für das Pochen auf digitale Grundrechte aus und war damit deutlich stärker politisch aufgeladen als in den Jahren zuvor. Das verwundert wenig, ist die re:publica doch auch ein Spiegel des Zeitgeschehens und das ist derzeit einigermaßen turbulent, wenn man es mal vorsichtig ausdrücken mag.