Die Hamburger Bürgerschaftswahl ist ein gutes Pflaster für neue Parteien, die allerdings selten länger als ein paar Jahre überleben. Neue Liberale heißt die neuste Gruppierung, die ihr Glück zuerst in der Hansestadt versucht, und die Gründerfreunde gehen der Frage nach, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede es zwischen Parteien und Startups gibt.

Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer der Neuen Liberalen haben Glück: Hamburg erlebt am vergangenen Sonntag den bisher einzigen wirklich schönen Wintertag, so dass sich viele Spaziergänger auf den verschneiten Weg rund um die Alster gemacht haben. Dort haben sich an einer strategisch günstigen Stelle die beiden Spitzenkandidaten Isabel Wiest und Christian Schiller positioniert. Dabei sind auch Sylvia Canel, Ex-Bundestagsabgeordnete und Ex-Vorsitzende der Hamburger FDP, und weitere Mitstreiter, die auf einem Gruppenfahrrad umherradeln, wie man es sonst von Junggesellenabschieden und ähnlichen bierseeligen Anlässen kennt.

bierbike1Hier kommt das Wahlkampfbike der Neuen Liberalen

Sie alle versuchen, eine Idee populär zu machen, die es in Deutschland schon immer etwas schwerer hatte als etwa in den angelsächsischen Ländern und zuletzt geradezu in Verruf geraten schien: den Liberalismus. Und damit sind wir schon mitten im Marketing, einem Thema, bei dem sich Spitzenkandidat Schiller auskennt, arbeitet er doch hauptberuflich als PR & Partnership Manager bei der Internet-Mitfahrzentrale BlaBlaCar. Daher ist er der perfekte Ansprechpartner für die Frage, inwieweit sich Parteien und Startups miteinander vergleichen lassen; zum Beispiel wollen beide zuallererst etwas verkaufen, auch wenn der Begriff bei politischen Inhalten vielleicht etwas unfein klingt.

In beiden Fällen ist es wichtig, den Markenkern anhand von zwei bis drei Punkten beschreiben zu können, sich von den Mitbewerbern zu unterscheiden, und die richtigen PR-Kanäle zu finden und zu nutzen, um die hoffentlich korrekt definierte Zielgruppe anzusprechen. Bei den Neuen Liberalen geht es zum Beispiel darum, die Wahlplakate in den Stadtteilen aufzustellen, in denen das höchste Wählerpotenzial vermutet wird, denn für eine flächendeckende Plakatierung reicht das Geld nicht. Als absoluter Neuling erhält die Partei keinen Wahlkampfkostenzuschuss, und einen finanzstarken Investor (= Spender) gibt es auch nicht, man betreibt quasi Bootstrapping.

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Christian Schiller und Isabel Wiest beim Interview mit einem Team von Sat 1; rund um die Alster verläuft Hamburgs beliebteste Joggingstrecke

Härteste Konkurrentin im Kampf um die Wählerstimmen ist zweifellos die FDP, und damit in doppelter Hinsicht ein Problem für die Neue Liberale. Zum einen, weil beide ein ähnliches Klientel ansprechen, zum anderen, weil die Freien Demokraten die Marke Liberalismus in den Augen vieler kaputt gemacht haben. Dabei hätten die meisten Kritiker einen falschen Begriff von der liberalen Idee, meint Schiller. Einer seiner Helden der Geschichte ist US-Präsident Theodore Roosevelt, weil der sich für die Zerschlagung von Monopolen stark machte, eine Position, die mit der Klischeevorstellung von Wirtschaftsliberalismus kaum in Einklang zu bringen ist. Liberal sei vielmehr, die Rechte des Einzelnen gegenüber einer konzentrierten Macht zu schützen, egal, ob diese staatlich oder ökonomisch definiert ist.

Als Mitglied der Startup-Szene erhofft sich Schiller natürlich Wählerstimmen aus dieser Richtung, zumal das Programm seiner Partei zu dem Thema ausführliche Punkte enthält, aber auch die FDP setzt auf dieses Pferd und lädt deshalb zum Gründergespräch ins noble Hotel Atlantic. So bleibt es schwer, den Markenkern, gar den USP der Neuen Liberalen den Spaziergängern zu vermitteln, die in der Mehrzahl an dem Wahlkampfteam vorbeigehen, ohne einen Flyer mitzunehmen oder sich gar auf ein Gespräch einzulassen. Aber das ist für alle Parteien Alltag im Wahlkampf, und auch in der freien Wirtschaft empfindet der potenzielle Kunde Werbung oft als lästig oder ignoriert sie.

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Isabel Wiest und Christian Schiller auf dem Wahlkampfbike

Ein wichtiger Unterschied zwischen Startup und Partei sei das Team, stellt Schiller fest. Bei einer Unternehmensgründung suche man sich ganz genau die Partner aus, mit denen man den Geschäftserfolg anstrebe. Bei einer Partei habe man zwar anfangs ebenfalls einen harten Kern mit einer gemeinsamen Idee, aber mit der Zahl der Mitglieder wachse auch die Heterogenität, und man könne nur bedingt kontrollieren, wer da alles mitmische. Das müsse in einer Demokratie auch so sein. Von den jetzigen Mitgliedern waren zuvor
45 % offiziell parteilos, 25 % sind Ex-FDPler (zu ihnen zählt auch Schiller), dazu Ehemalige von den Piraten, der SPD und den Grünen.

Außerdem gäbe es keinen Businessplan, zumindest nicht am Anfang, und erst recht keinen Exit-Plan, etwa eine Fusion mit der FDP. Ziel für die kommende Bürgerschaftswahl am 15. Februar sind 2-3 % der Wählerstimmen. Selbst wenn die Neue Liberale die Fünf-Prozent-Hürde überspringen sollte, was die aktuellen Umfragen nicht vermuten lassen, strebt Schiller keine Koalition mit der SPD an, obwohl man sich explizit als sozialliberal bezeichnet. Weniger bescheiden ist das mittelfristige Ziel: die FDP als liberale Kraft ersetzen, auch bundesweit. Der Weg dahin ist noch lang, und auch wenn sein Arbeitgeber viel Verständnis hat für sein politisches Engagement und ihm viel Freiraum gewährt, ist Christian Schiller doch froh, dass das Ende eines anstrengenden Wahlkampfs abzusehen ist. Welchem Startup danach seine größere Aufmerksamkeit gilt, Neue Liberale oder BlaBlaCar, wird sich zeigen.

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