Wir als Gründerfreunde haben es uns zur Aufgabe gemacht, die mentale Verknüpfung von Scheitern und Finalität zu hinterfragen. Das Wahlkampfjahr 2017 bietet sich an, mit Martin Schulz und Christian Lindner sind gleich zwei Politiker vertreten, die offen zu vormaligem Scheitern stehen. Die FDP ist als Partei gescheitert, fiel, stand wieder auf und erzielte zuletzt gute Ergebnisse. Irgendwo in den Köpfen ist also doch eine Kultur der 2.Chance verankert. Um der Humanität auf die Sprünge zu helfen, wollen wir den soziokulturellen Diskurs zu diesem missverstandenen Thema weiter anregen. Das große Interesse an der Thematik, gibt uns recht:

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Unser Facebook-Post wurde bisher 36 Mal geteilt und 151 Mal geliked. Das zeigt die Relevanz dieses Themas.

Scheitern als Teil der Biographie

Wer gescheitert ist, sollte das als Erfahrung verbuchen können und weitermachen, ohne ständig an den „Vor-Fall“ erinnert werden zu müssen. Christian Lindner mag umstritten sein, dennoch oder vielleicht gerade deswegen, hat er eben diesen wichtigen Punkt in seiner bekannten Rede im nordrhein-westfälischen Landtag angeführt. Als er über das Scheitern sprach und der SPD-Abgeordnete Volker Münchow hämisch reinrief: „Sie wissen ja, wovon Sie reden“, reagierte Lindner darauf extrem verärgert. Das Ganze gipfelte in einer mehrminütigen Wutrede. Er sagte, dass genau dieses Vorhalten das Problem sei, dass einem das Scheitern anhafte und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wieder zum Thema werde. Das müsse aufhören.

Aufhören muss die Stigmatisierung in der Tat: Scheitern ist für die meisten Menschen eine nicht zu negierende Realität. Angefangen bei der fünf in der Klausur bis hin zum Konkurs – Scheitern gehört dazu. Man möchte es von den Dächern rufen, wiederholen, bis es auch der Letzte verstanden hat: Wir müssen das Scheitern als Teil der menschlichen Erfahrung akzeptieren, statt es zu stigmatisieren! Es scheitern einfach zu viele daran, dass sie zu große Angst vor dem Scheitern haben. Man fragt sich, wer die Menschen zukünftig anstellen soll, wenn sich diese Angst so manifestiert, dass niemand mehr eine Gründung wagt.

Jochen Schweizer drückte es elegant aus:

(…) Bedauerlicherweise ziehen es viele Menschen vor, in einer Komfortzone zu leben. Sie verfahren nach dem Motto: „Wer nichts riskiert, kann nichts verlieren.“ Es gibt aber keine Sicherheit im Leben.

Von „Gescheiterten“, Rufmord und Fuckup Nights

Misserfolge nehmen die verschiedensten Formen an. Steht man im Auge der Öffentlichkeit multipliziert sich die Schwere des Stigmas, denn die Medien tragen häufig dazu bei, dass jemand an den Pranger gestellt wird und dort so schnell nicht mehr wegkommt. Die Anonymität des Internets tut ihr Übriges. Ein Shitstorm ist heutzutage schnell ausgelöst und wo einer anfängt, da machen geschwind Tausende mit.

Jörg Kachelmann ist nur ein Beispiel für die Blüten, die die Macht der Medien treiben kann. Eine Ex-Freundin zeigte ihn wegen angeblicher Vergewaltigung an. Lange bevor die Gerichtsverhandlung überhaupt begann, wurde er von der Presse bereits wie ein Verurteilter behandelt. Der Wettermann erhob daraufhin Schmerzensgeld-Forderungen gegen Springer und Burda, welche das Gericht ihm zubilligte. Seine Karriere erholte sich jedoch nie wieder, obwohl erwiesen ist, dass die Anschuldigungen falscher Natur waren. Rufmord wiegt schwer.

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Aufgeben ist keine Option.

Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen von gesellschaftlichen Urteilen ohne die Existenz richterlicher Urteile ist Christian Lutz Schoenberger. Der Internet-Entrepreneur soll 2012 über Groupon Kunden betrogen haben. Einige Kunden erstatteten Anzeige, Akte berichtete daraufhin und stattete dem Unternehmer einen Besuch ab. Zu sehen war ein sichtlich überforderter Schoenberger, der angab, dass er überrollt worden wäre und daher nicht ausgeliefert hätte.

Im Nachgang unseres Artikels zum Thema Scheitern, erreichte uns vor einigen Wochen eine E-Mail, in der uns der jüngste Gerichtsbeschluss in Sachen Schoenberger übermittelt wurde, daraus geht hervor, dass das Landgericht Hamburg die Akte an die Staatsanwaltschaft zurückschickte und die Aufnahme einer Hauptverhandlung ablehnte: Die Staatsanwaltschaft hatte nicht gründlich genug ermittelt. Der vorsätzliche Betrug – nicht hinreichend belegt. So ist nach Jahren seitens der Legislative noch immer kein Urteil ergangen – seitens der Medien allerdings längst.

Im Internet ist ein wahrer Shitstorm entbrannt. Sicherlich haben die vermeintlich betrogenen Kunden ein Recht ihre Meinung zu äußern, die Intensität ist jedoch erschreckend: Schoenberger wird geächtet, ehemalige Geschäftspartner distanzieren sich und die Presse lässt kein gutes Haar an dem Gründer von Stardrinx. Die Macht der vierten Staatsgewalt ist allumfassend: sozial, privat, geschäftlich; schlechte Presse ruiniert auf allen Ebenen. Auch wir wissen nicht, was genau vorgefallen ist und möchten an dieser Stelle betonen, dass wir keine Stellung beziehen, dennoch ist die Heftigkeit und die gefühlte Finalität mit der Schoenberger ins Abseits gedrängt wird, bedenklich. Das ist alles andere als eine Kultur der 2.Chance, das ist der Internet-Pranger, und zwar in all seiner Heftigkeit.

Eine zweite Chance haben nicht nur Menschen verdient, die ohne eigene Schuld Misserfolge verzeichnen, sondern auch die Menschen, die Fehler gemacht haben und sich das eingestehen.

Die Fuckup Nights sind in diesem Kontext ein Hoffnungsschimmer. Sie bieten speziell gescheiterten Unternehmern eine Plattform, um über ihre Misserfolge zu sprechen. Lange Rede, kurzes Video:

https://youtu.be/xtH6zGSeuDI

Christian Wulff könnte gut auf der Bühne der Fuckup Nights stehen. Unabhängig von den tatsächlichen Vergehen, die er begangen hat oder nicht, bleibt fragwürdig, ob die Medien das Recht haben einen Politiker derart anzuprangern, und zwar lange bevor tatsächliche Urteile ergehen. Die Taz schrieb in einem Pro/Kontra Bericht dazu: „Auch dies ist ein Ausdruck der Medienkrise – dass sich Zeitungen und Magazine angesichts schwindender Auflagen zu einer haltlosen Skandalberichterstattung hinreißen lassen, deren Grundlage mehr als zweifelhaft ist.“

Martin Schulz spricht offen über seine Sucht

Auch der Kanzlerkandidat der SPD weiß, was Fallen bedeutet:

„Das Schlimmste für mich war“, zitiert „Bild“ Martin Schulz aus der Bio, „wenn ich morgens aufgewacht bin mit dem Gefühl wieder versagt zu haben. Ich habe damals getrunken, was ich kriegen konnte. Man nimmt sich täglich vor, es besser zu machen, aber schafft es am nächsten Tag nicht. Das ist ein deprimierendes Gefühl. Solche Prozesse brechen dir langsam das Rückgrat“.

Versagen. Worum geht es, wenn man sich wie ein Versager fühlt? Es geht um den Blick der anderen, es geht darum, wer man in den Augen der Gesellschaft ist. Das Label Versager, Gescheiterter möchte niemand tragen, niemand möchte mit Gescheiterten assoziiert werden, das Stigma nimmt dem Menschen den Lebensmut.

So erging es auch Schulz, der heute offen zugibt, dass er suizidal war. Sein Bruder handelte schnell und wies Schulz in eine Entzugsklinik ein. Jahre später wählte man ihn zum Bürgermeister und heute ist er der Kanzlerkandidat der SPD, ein Beispiel für jemanden, der die Kurve gekriegt hat. Vor allem, weil sein Umfeld an ihn glaubte, ihm eine zweite Chance einräumte.

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Auch der Entrepreneur der Entrepreneure Elon Musk musste diverse Rückschläge hinnehmen:

Netscape 

Musk hatte sich für einen Job bei Netscape beworben, wurde jedoch abgelehnt, da er nicht ausreichend qualifiziert war, sein Studium der Physik und Ökonomie beeindruckte bei Netscape niemanden. Er erhielt keine Antwort auf seine Bewerbung, also fuhr er direkt zu Netscape, traute sich jedoch nicht jemanden anzusprechen und ging wieder.

Zip2

Musk war CEO von Zip2, einer Firma, die der Pionier mit seinem Bruder gegründet hatte. Das Unternehmen war erfolgreich, dennoch wurde er als CEO abgelöst, da der Vorstand ihn langfristig als zu unerfahren betrachtete.

PayPal

Musk war der Gründer der Firma X.com, die zu Paypal wurde. 2000 wurde er CEO der Firma. Allerdings nicht lange, denn er stritt sich mit dem CTO darüber, welches Betriebssystem das richtige für die Firma wäre: Windows oder Unix. Der Streit endete damit, dass Musk erneut als CEO abgelöst wurde. Außerdem wurde das erste Paypal-Produkt zu einer der zehn schlechtesten Geschäftsideen, die es je gab, erklärt.

All das ließ den Visionär jedoch nie an seiner Kraft zweifeln. Das mag in der amerikanischen Kultur der multiplen Chancen leichter fallen, denn dort kalkuliert man das Risiko ein und stirbt keinen sozialen Tod, wenn man einen Fehler macht,  selbstverschuldet oder nicht. Das Stigma hat schlichtweg nicht die gleiche Dimension.

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t3n hat eine amüsante Infografik zu Musks „Scheitern“ erstellt. Klickt auf das Bild, um die vollständige Grafik zu sehen.

Nur wenn wir offen und oft über die Notwendigkeit einer Kultur der 2.Chance reden, können wir letztlich eine Veränderung erzielen und zu guter Letzt auch an der Begrifflichkeit schrauben; weg mit dem Muff unter den Talaren. Genug unserer Worte, jetzt kommt Ihr zu Wort: Schickt uns Eure Geschichten, Ideen, Anregungen zum Thema „Scheitern“ an: [email protected]

Beenden möchten wir unsere Reflektionen mit Satire, denn bei allen Schwierigkeiten, dürfen wir alles, nur den Humor nicht verlieren. Das wäre, um es mit Nico Semrotts Lebensmotto auszudrücken: No fun, no fun.

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