Um die Frage, wie Medien und Marken mit den digitalen Disruptionen umzugehen haben, drehten sich auch am dritten Tag der Social Media Week Hamburg viele Veranstaltungen. Nicht jede Antwort kam dabei über bekannte Schlagworte hinaus. Zum Glück gab’s auch noch einen kleinen Pitch mit eindeutigem Ergebnis.
„Here we are now, entertain us…“ – diese fast schon sprichwörtliche Textzeile aus dem Nirvana-Klassiker „Smells Like Teen Spirit“ gilt zuweilen auch für das Publikum der Social Media Week. Soll heißen: Die gewünschte Interaktion fällt bei manchen Veranstaltungen eher bescheiden aus, etwa bei „Native Advertising – der dreckige Weg in Euer Gehirn?“, wo das Podium ausschließlich von Männern besetzt war. Auf den Vorschlag, spontan eine Frau aus der Zuhörerschaft in die Gesprächsrunde einzubeziehen, folgte keine Reaktion. Sei’s drum, Sven Markschläger (Twitter Deutschland), Ulf Valentin (HRS) und Dennis Kubon (Deutsche Telekom) ließen sich auch so von Moderator Björn Köcher (JDB MEDIA) befragen und kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Zunächst aber zum Begriff „Native Advertising“. Neu ist diese Werbeform eigentlich nicht, im Printbereich heißt das schon seit Jahrzehnten „Advertorial“ und bezeichnet eine Anzeige, die einem redaktionellen Beitrag täuschend ähnlich sieht und daher als Werbung gekennzeichnet werden muss. Beim Native Advertising wird dieses Prinzip einfach auf das Internet übertragen und ist in den USA schon ein sehr erfolgreicher Wachstumsmarkt. In Deutschland läuft es noch nicht so richtig, wie Medienblogger Stefan Niggemeier anhand zweier Beispiele aus der Huffington Post letzten Oktober genüsslich aufgedröselt hat (hier).
https://www.youtube.com/watch?v=PGT-m4FneJ8&index=1&list=PL2CkP1Bfxjst0zjXONb8hO6I6qEzcSZpL
Die Pilotfolge der beliebten Longboard-Tour, präsentiert von der Deutschen Telekom
Vielleicht hat er aber auch nur die falschen Beispiele gewählt. Dennis Kubon jedenfalls hatte eine Erfolgsgeschichte mitgebracht, nämlich eine Longboard-Tour durch die Republik, die auf YouTube-Videos dokumentiert ist, präsentiert von der Telekom. Aber ist das „Native“ oder eher Sponsoring? Alles eine Definitionsfrage, genau wie die, was eigentlich unter Content Management zu verstehen ist. Erfolgsfaktoren sind auf jeden Fall Authentizität, Relevanz, Look & Feel, der richtige Zeitpunkt und der richtige Mehrwert, dann klappt’s auch mit der Zielgruppe. Alles nicht falsch und alles nicht neu. Don Draper hätte es vielleicht anders benannt, aber ähnlich gemacht.
Und wie sieht nun die Medienwelt von morgen aus? Sabrina Hoffmann, Social Media-Chefin vom Dienst der deutschen Huffington Post, und Nico Kunkel, Chefredakteur des PR Reports gingen zusammen mit Moderatorin Dr. Anna Schwan (Schwan Communications) dieser Frage nach. Kernthesen: Facebook ist wie ein moderner Straßenverkäufer, über den man seine Themen und Inhalte ausrufen lässt, um zum Klick aufzufordern. Und Mobile wird den Journalismus mehr verändern als das Internet. Das muss nicht zwangsläufig zu Häppchenjournalismus führen; die Erfahrung zeigt, dass durchaus auch längere Texte über das Smartphone gelesen werden.
Trotzdem tun sich viele alterwürdige Verlagshäuser schwer, die neuen Strukturen zu akzeptieren, in denen die Lesermacht dank Kommentarfunktionen steigt und die Resonanz auf einen Artikel über Likes und Aufrufe exakt zu ermitteln ist. Zudem drängen erfolgreich publizistische Startups wie heftig auf den Markt, die noch nicht einmal einen klassischen journalistischen Hintergrund haben. Was ist also gefragt? Richtig, Content Management und Relevanz und so, da sind sich Werber und Journalisten dann einig.
Schauen wir uns zur Abwechslung mal einen Pitch an, da geht es kurz und knackig zu, und am Ende gibt es garantiert ein Ergebnis. Gesucht wurde „the most awesome media startup“, denn so ein Pitch ist ja meistens auf Englisch. Im Rennen waren:
Pay with a Tweet
Das Dilemma im Internet ist, dass die User äußerst ungern für Inhalte oder Dienstleistungen mit Geld bezahlen. Tweeten und posten sind dagegen vielen schon ins Blut übergegangen. Pay with a Tweet nutzt dies und bietet Interaktionen in sozialen Medien als virtuelle Währung an. Der Gewinn für Unternehmen, die den Service nutzen, ist Reichweite und die damit korrespondierende wachsende Popularität. Acht Millionen User konnten weltweit von dieser Idee bereits überzeugt werden. Das beim Pitch ein Video gezeigt wurde, kam dagegen nicht überall im Publikum an.
audioguideMe
Der sprechende Reiseführer per App dürfte treuen Gründerfreunde-Lesern kein unbekannter sein und hat zuletzt den zweiten Platz beim App-Contest Hamburg belegt (hier der Bericht). Der Charme der Idee, sich mit Audiodateien die Sehenswürdigkeiten und Eigenarten einer Stadt erklären zu lassen, wirkte auch an diesem Abend, reichte aber nicht ganz für den Sieg.
my mediaguide
Längst nicht so bekannt und auch noch nicht marktreif ist dieser Service, der Usern helfen soll, versteckte, den eigenen Interessen entsprechende Medienschätze im Internet zu finden, in Mediatheken, Podcasts oder auf YouTube. Das kann interessant werden, wirkte aber naturgemäß noch etwas unfertig, wie auch der Pitch.
Heute in Hamburg
Und der Sieger ist Heute in Hamburg, Blog/Facebookseite/App für die Freizeitplanung in der Hansestadt (Bild ganz oben: das Logo). Gestern erst stellte Mitgründer Jan Becker bei der Veranstaltung „What the fail“ die Keimzelle vor, die gescheiterte App SessionLine, heute gewinnt er diesen Pitch, und bald sind die zehn größten deutschen Städte mit „Heute in …“ dran. Und später vielleicht auch London, New York oder Singapur. Freizeittipps werden schließlich überall gebraucht.
Anschließend (und deutlich früher als angekündigt, was nicht jedem gefiel) diskutiere John Heaven mit Meinolf Ellers (CEO dpa infocom), Jasper Masemann (CEO und Gründer von greatcontent) und Torsten Müller (CMO und Gründer von tame) über die Chancen und Förderprogramme von Media-Startups insgesamt. Im Mittelpunkt stand dabei der von der dpa ins Leben gerufene Next Media Accelerator, der kurz vor dem Launch steht und gezielt neue Ideen für die Medienbranche in ihrer frühen Phase fördern soll. Wer diesen Prozess durchlaufen hat, wäre dann womöglich reif für ein weiteres Förderprogramm, etwa den in Amerika stationierten German Accelerator, der inhaltlich breiter aufgestellt ist. Ebenfalls empfohlen wurde der EO Accelerator der Entrepreneurs‘ Organisation.
Und was sollte ein erfolgreiches Media-Startup mitbringen? Ein gutes Team auf jeden Fall, und dazu gehört jemand, der im technischen Bereich fit ist. „Hol‘ Dir einen Hacker!“, lautete ein Ratschlag, denn die gute Ausführung schlägt die gute Idee, wie es ebenfalls hieß. Man braucht ein gutes Netzwerk und gute Mentoren, was man nicht unbedingt braucht, ist der Wille zur Welteroberung. Auch im Internet kann sich eine Art von Mittelstand gut durchsetzen und etablieren, der Exit nach drei Jahren sollte nicht das vorrangige Ziel sein. Und wie stehen die Chancen, mit einem Media-Startup Erfolg zu haben? Nicht schlecht, den auch in Deutschland schauen sich Investoren inzwischen verstärkt in diesem Bereich um, und das Engagement großer Häuser wie Burda und Springer ist ebenfalls ein positives Zeichen. Gute Nachrichten also zum Ende des Tages.