Gestern abend wurden in Berlin die New Work Awards 2015 an die Arbeitgeber mit den besten Konzepten für die moderne Arbeitswelt vergeben. Bei den Großen konnte sich Telekom Deutschland durchsetzen, während auticon den ersten Platz in der Kategorie KMUs und Startups erreichte. Die Gründerfreunde stellen das ungewöhnliche Unternehmen vor.

Im Vorfeld zu den New Work Awards hatten wir die Kandidaten der „Kleinen“ in einem Artikel schon einmal alle kurz vorgestellt. Am 26. Januar wurden nun die Gewinner gefeiert: Den 3. Platz sicherte sich die DEXINA AG, Platz 2 ging an die Haufe-Umantis GmbH, und den Hauptpreis bekam die auticon GmbH, nicht überraschend und mit Sicherheit verdient, denn das Unternehmensprinzip, hauptsächlich Autisten zu beschäftigen, hat schon vielfach für Lob und Anerkennung gesorgt.

https://www.youtube.com/watch?v=LQhUVtYCTDk&x-yt-ts=1421914688&x-yt-cl=84503534#t=15

New Work Award 2015 an auticon: das Video mit der Begründung

Autismus wird in der Regel als ein angeborener abweichender Informationsverarbeitungsmodus beschrieben, der sich durch Normabweichungen bei der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie durch stereotype Verhaltensweisen bemerkbar macht. Das Verhältnis der betroffenen Männer zu Frauen beträgt 5:1, wobei manche davon ausgehen, das der Anteil der Frauen in Wahrheit höher ist, da sie ihren Autismus besser überspielen können und er deshalb in der Diagnose oft nicht wahrgenommen wird.

Autistische Erscheinungsbilder sind sehr heterogen, weshalb man von einem Autismus-Spektrum spricht, das unter anderem drei grundlegende Diagnosen umfasst, deren Grenzen fließend ineinander übergehen: frühkindlicher Autismus (milde bis schwerwiegende Lernbehinderung möglich), atypischer Autismus (ab drittem Lebensjahr, oft Diagnosekriterien unvollständig) und das Asperger Syndrom, welches auch als leichte Form des Autismus bezeichnet wird. Typisch dafür sind ausgeprägte Stärken im logischen Denken, in der Detailgenauigkeit oder der Kreativität; das Intelligenzniveau ist meist normal oder sogar überdurchschnittlich.

Mühe bereiten Menschen mit dem Asperger Syndrom dagegen soziale Kommunikation und Interaktion. Small-Talk und eine unruhige Arbeitsumgebung können zur Qual werden, Kommunikationskompetenz und Teamfähigkeit, in der Arbeitswelt oft geforderte Qualifikationen, sind unterentwickelt. So sind lediglich ca. 5-10% der Betroffenen auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. An diesem Punkt setzt auticon an. Mit Job Coaches unterstützt das Unternehmen seine autistischen Mitarbeiter, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre Stärken entfalten können.

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Steve Mittermaier, IT-Consultant, und Dirk Müller-Remus, Gründer von auticon (Foto: Björn Wiedenroth)

Auticon setzt auf das große Potential von Asperger-Autisten: Mustererkennung, Präzision, Logik und eine Affinität zur Fehlersuche zählen zu ihren herausragenden Fähigkeiten. Viele haben zudem ein ausgeprägtes Interesse an IT, Physik, Mathematik und Technik, was sie zu wertvollen Experten in folgenden Bereichen macht:

  • Test und Analyse hochkomplexer Systeme
  • IT-Optimierung und Automatisierung
  • Analyse und Optimierung von Programmen in C, C++, Java und weiteren Sprachen
  • Strukturieren und Bereinigen großer Datenmengen
  • Erstellen von statistischen Prognosen, Ableiten und Implementieren von Algorithmen
  • Verfassen technischer Manuale und Dokumentationen
  • Konsistenzprüfung von IT-Konzepten, technischen Spezifikationen, oder Prozessen
  • Qualitätssicherung im Rahmen von IT-Projekten, Migrationen und Audits
  • Mustererkennung und Anwendung eines anderen Blickwinkels

Seit der Gründung im November 2011 durch hat auticon 42 Mitarbeiter (von 64 insgesamt) aus dem Autismus-Spektrum eingestellt, deren Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gefördert sowie deren finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht. Gründer Dirk Müller-Remus hat selber einen erwachsenen Sohn, bei dem Asperger diagnostiziert wurde und der ihn bei der Unternehmensgründung inspirierte. Mittlerweile verfügt auticon über Niederlassungen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart und München und hat mehrere Preise erhalten. Der New Work Award 2015 ist hier der vorläufige Höhepunkt.

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