“Wir brauchen klare Botschaften!”
Miriam Wohlfarth
Gründerfreunde traf sich virtuell und Corona-konform mit Miriam Wohlfarth (Ratepay), die seit August 2020 zusammen mit Christian Vollmann (nebenan.de) den Vorsitz im neu aufgestellten Beirat Junge Digitale Wirtschaft übernimmt. Die Liste aller aktuellen 29 Mitgliedern findet ihr hier.
Fragen an den neuen Beirat Junge Digitale Wirtschaft (BJDW)
Miriam, was sind die Hauptaufgaben des Beirats Junge Digitale Wirtschaft bzw. zu welchen Zwecken wurde er gegründet?
Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft berät das Bundesministerium bzw. den aktuellen Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, bei aktuellen Fragen zum Thema Digitalisierung.
Wir sehen uns auch als Sounding Board, Sparring Partner und Beratung. Das Ziel ist, den Dialog zwischen der Gründerszene und der Politik zu fördern, dass eben Wissensaustausch und Wissensexpertise geschieht.
Wir sind eine große Gruppe mit sehr gemischten Expertisen – Die einen kennen sich sehr gut mit KI aus, die anderen haben ein anderes Spezialthema. Es ist sehr divers, was ich sehr gut finde.
Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft wurde das erste Mal im Januar 2013 eingesetzt. Welche Hauptziele wurden seitdem erreicht?
Ich persönlich bin erst seit 2020 dabei, habe mir jedoch die vergangenen Themen angesehen. Der Beirat hat in der Vergangenheit sehr viele Papiere, Stellungnahmen, Initiativen und Positionspapiere zu ganz unterschiedlichen Themen veröffentlicht sowie Veranstaltungen organisiert. Auf diese Weise wurden einige Themen vorangetrieben. Wichtige Punkte waren dabei: Netzneutralität, Seed-Fonds, Künstliche Intelligenz und auch Zuwanderung.
Dennoch ist es unser Ziel, in dem neu formierten Beirat noch mehr zu erreichen. Wir sind jetzt stärker aufgestellt und hoffen eine größere Reichweite zu bekommen und so noch besser gehört zu werden.
An welchen Zielen ist der Beirat Junge Digitale Wirtschaft gescheitert bzw. was sind die größten Hürden, die noch zu überwinden sind?
„Es würde uns enorm helfen, wenn wir ein digitial ministerium hätten“
Miriam Wohlfarth
Es würde uns enorm helfen, wenn wir ein Digital Ministerium hätten, indem das Thema Junge Digitale Wirtschaft einfach noch viel stärker gepusht wird. Das ist derzeit aus meiner Sicht eine zentrale Hürde, die wir angehen sollten.
Was sind die nächsten großen Schritte, die für den Beirat anstehen?
Seit Ende August 2020 sind wir ja neu aufgestellt, wir haben jetzt eine Doppelspitze und der Beirat ist nun sehr divers besetzt. Wir haben mittlerweile mehr Frauen als Männer im Beirat. Christian Vollmann und ich machen den Vorsitz gemeinsam, was ich für einen sehr modernen Ansatz halte.
Was haben wir bisher gemacht? – Wir hatten vor Kurzem unsere erste Sitzung, in der wir zentrale Themen besprochen haben, die uns aus dem Ministerium übermittelt wurden. Dies waren unter anderem die Themen Fachkräftemängel, Diversity und KI-Strategie.
Zudem haben Christian Vollmann und ich die wichtigsten Themen gesammelt, die vom Beirat vorgeschlagen wurden und haben auf Basis dessen acht große Themen erarbeitet, zu denen es nun Arbeitsgruppen gibt.
Die acht Themen, die wir in unserer zweijährigen Legislaturperiode bearbeiten wollen, sind:
- KI-Strategie und Förderung
- Fachkräftethema
- Diversity inkl. Female Founders
- Startup-Finanzierung
„Zugang zu Kapital muss in Deutschland einfacher gemacht werden und es müssen mehr Anreize geschaffen werden“
5. Digitale Infrastruktur Investments / Digitale Souveränität
„Das Ziel ist es, Deutschland und Europa stärker zu machen, Schritte zur Emanzipierung zu unternehmen“
6. EU-Binnenmarkt
„Startup Regulierung für den EU-Binnenmarkt“
7. Social Entrepreneurship
8. Öffentliche Ausschreibungen
“Zurzeit hat ein Startup schwere Chancen, zu öffentlichen Ausschreibungen zu kommen, die Sprache der Ausschreibungen ist schwer zu verstehen, langwierige Prozesse”
Die neu aufgestellten Arbeitsgruppen bearbeiten diese acht großen Themen und hinterfragen auch alte Lösungswege. Sie vversuchen kreativer zu werden, Medien und auch soziale Medien mehr zu nutzen. Die 29 Beirat-Mitgliedern sind somit in Gruppen von 3 – 4 Leuten unterteilt. Jede Arbeitsgruppe bekommt eine verantwortliche Stimme, sodass auch die Kommunikation innerhalb des Beirats vereinfacht wird. Die große Gruppe trifft sich zwei-, dreimal im Jahr. Die Vorsitzenden tauschen sich alle sechs Wochen mit dem Bundesministerium aus.
Ein weiteres Ziel des neu aufgestellten Beirats ist es, Kommunikation zu vereinfachen und kompakter als über lange Thesenpapiere zu übermitteln. Unsere heutige Welt schafft es nur noch selten lange Texte zu verarbeiten, wir brauchen klare Botschaften, die uns in der großen Kommunikationsflut erreichen.
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass Digitale Wirtschaft eines der wichtigsten Themen der Zukunft ist und hier teilweise noch Aufholbedarf besteht, z.B. im Thema Cybersicherheiten. Stimmst du dem zu? – Und wird dies, in Zusammenarbeit mit Peter Altmaier, dem aktuellen Bundesminister für Wirtschaft und Energie, die Initiative für Digitale Startups drastisch erhöhen?
„COVID-19 ist tatsächlich ein Katalysator, ein Beschleuniger, um sich vermehrt dem Thema Digitale Wirtschaft zu widmen“
Miriam Wohlfarth
COVID-19 ist tatsächlich ein Katalysator, ein Beschleuniger, um sich vermehrt dem Thema Digitale Wirtschaft zu widmen. Vonseiten des Bundesministeriums ist aktuell ein großer Wille da, um da mehr Gas zu geben. Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft wird somit zukünftig wichtiger werden, als er in der Vergangenheit war – einfach, weil dieses Thema seit COVID-19 anders als zuvor bewertet wird.
Wie beurteilst du die Gründungskultur in Deutschland und wie besteht diese den internationalen Vergleich? Wo können wir eventuell noch lernen?
Ich hatte mir mal den Global-Entrepreneurship-Monitor 2018/19 angesehen. Im internationalen Vergleich von 31 Ländern mit hohem Einkommen belegt Deutschland den 15. Platz. Ähnliches Niveau haben Schweden, Irland, Spanien; deutlich besser sind zum Beispiel Niederlande oder USA. Ich finde das Ergebnis mittelmäßig, es könnte echt besser sein.
Ich denke, das liegt an verschiedenen Faktoren, zum einen hat Deutschland nicht diese Risiko-Mentalität, Deutschland geht auf Sicherheit, Komfort. Im Gegensatz dazu, hat USA die Mentalität, das Scheitern gefeiert wird, weil man etwas versucht hat. In Deutschland wird Scheitern noch mit Häme belegt. Ich sehe bei den jüngeren Leuten zum Glück schon Veränderung.
Neben den kulturellen Aspekten haben Startups in Deutschland noch viel zu viele bürokratische und finanzielle Hürden zu überwinden. Es sollten Gründer-Packages eingeführt werden, die z.B. Dinge wie Sozialversicherungen übernehmen.
Perfektionismus hindert manches Mal Gründertum
Miriam Wohlfarth
Ein weiteres Problem ist, dass Deutschland ein Volk der Perfektionisten ist. Perfektionismus hindert manches Mal Gründertum, denn gerade am Anfang muss man sich erstmal mit Unperfektem abfinden. Man muss auch mal den Mut haben, mit etwas zu starten, dass auch noch Fehlern haben darf. Auch deutsche Investoren müssen hier ihr Denken noch ändern, amerikanische Investoren denken anders. Ein amerikanischer Investor investiert in zehn Projekten und geht davon aus, dass acht Projekte davon scheitern werden – aber die zwei anderen gehen dafür ab.
Ein deutscher Investor will sich noch zu viel absichern, betrachtet zu viel den Return of Investment. Sicherheitsfragen, die ein kleines Startup am Anfang noch gar nicht beantworten kann. Manches Mal ist ein Investment eine Wette. Wichtig ist, dass man als Investor dem Team vertraut und wenn man merkt, die Ursprungsidee müsste justiert werden – Vertrauen in die Justierung gibt.
Dieses Vertrauen fällt vielen deutschen Investoren schwer, dabei gibt es so viel Kapital, z.B. in Familienunternehmen – diese sollten gefördert werden, wenn sie in Startups investieren. Dies gibt es in anderen Ländern auch, das ist Teil des Zukunftsfonds, der auch gerade beraten wird. Aber da muss einfach schneller etwas passieren, damit wir hier mehr Innovation bekommen.
Ein weiteres Thema ist das ESOP-Thema, wo der Bundesverband Deutsche Startups sich sehr einsetzte. Durch diese Initiativen sieht es gut aus für bessere Mitarbeiterbeteiligungen. Die sozialen Medien helfen, dem Gehör zu geben.
Ein weiteres großes Thema ist der Fachkräftemangel. In Deutschland ist es gerade für Startups mittlerweile sehr schwer, noch gute Programmierer zu bekommen. In Deutschland sollte man in der Bildungspolitik junge Leute und vor allem auch Frauen mehr motivieren, diese Berufsbilder zu ergreifen.
Welche Tipps hat der Beirat für junge Startups im Digitalbereich?
„Begeisterung ist das prinzip aller möglichkeiten“
Miriam Wohlfarth
Sucht euch Mentoren, die euch helfen können. Tauscht euch mit erfahrenen Startups aus. Practice-Sharing ist wichtig und wenn ihr echt an das Produkt glaubt, dann lasst euch nicht davon abbringen. Geht euren Weg. Begeisterung ist das Prinzip aller Möglichkeiten. Wenn du Spaß an der Sache hast und daran glaubst, dann kannst du das auch schaffen. Nicht von den ganzen Zweiflern abbringen lassen. Auf die hören, die es auch gut finden und die Zweifler einfach mal ein bisschen wegdrücken.
Wie qualifiziert man sich ein Beirat-Mitglied zu werden?
Man wird als Beirat-Mitglied berufen und kann sich nicht aktiv bewerben.
Wenn man sich sehr dafür interessiert und durch ein Spezialthema qualifiziert ist, könnte man sich mit den Beiratsmitgliedern vernetzen. Man muss erstmal sichtbar werden, um die Möglichkeit einer Berufung zu erhalten.
Der Austausch zwischen Bundesministerium und dem Beirat Junge Digitale Wirtschaft wird immer wichtiger, denn es ist wichtig, sich mit unterschiedlichen Leuten zu beraten, die sich mit diversen Spezialthemen gut auskennen. Wenn man für ein Fachthema steht, ist es wichtig, sich sichtbar zu machen und zu vernetzen – sei es zum Beispiel bei Twitter oder bei LinkedIN.
Miriam, du wurdest im August zusammen mit Christian Vollmann zu den neuen Vorsitzenden gewählt. Wie viel Arbeit investiert man als ehrenamtliches Mitglied?
Es gibt keine pauschale Zeitangabe, gerade wenn man sich in der Arbeitsgruppe intensiv einbringt, kann das schon mal arbeitsintensiv sein. Aber man brennt ja vielleicht auch für dieses Thema. Es gibt nicht dieses Minimum, bei mir sind es aktuell ca. 10 Stunden im Monat. Kommt später die Organisation von Veranstaltungen hinzu, wird es natürlich mehr werden. Am Ende des Tages kommt es auf das Ergebnis an und weniger auf die Zeit, die man investiert hat. Wir werden sehen, was nötig ist, um unsere Ziele schnellstmöglich zu erreichen.
Gründerfreunde bedankt sich für das nette und informative Gespräch!