Dass Berlin nicht nur die politische Hauptstadt Deutschlands ist, sondern sich auch selbstbewusst als Startup-Hauptstadt versteht, hat sich nicht nur mit Hilfe von umfangreichen Vermarktungsaktionen in den vergangenen 15 Jahren herumgesprochen.

Hauptstadt der E-Commerce-Startups?

Neben den ansässigen Risikokapitalgebern und des (zumindest in Pre-Corona-Zeiten) starken Wachstums von immer mehr Anbietern von Co-Working-Spaces, kommen einem dabei vor allem Gründungen aus den Bereichen E-Commerce, Social Media oder Dienstleistungen im Allgemeinen in den Sinn. Doch in Berlin entstehen auch immer mehr Startups, die sich mit komplexen Themen wie dem Klimaschutz oder nachhaltigen Energieerzeugungstechnologien befassen. Warum das jedoch nicht ganz so einfach ist und bestimmte Rahmenbedingungen erfordert, wollen wir uns in diesem Artikel genauer anschauen.

Gründen – eine Entscheidung unter Unsicherheit

Grundsätzlich gilt: Ein Startup zu gründen birgt für jede/n Gründer*in immer ein hohes Risiko. Eine Geschäftsgründung per se muss gut überlegt sein und zieht eine Vielzahl von schwierigen Entscheidungen mit sich, die man aus seinem privaten wie vorherigen beruflichen Alltag als Angestellte*r selten oder gar nicht kennt.

Lösungen in diesem Gründungsdschungel zu finden, ist für viele Gründer*innen bereits eine Kernherausforderung auf dem erfolgreichen Weg zum eigenen Unternehmen. Hinzu kommt die gut gemeinte Empfehlung aus jedem zweiten Business-Plan-Seminar: “Liebe Leute, ich rate euch eines, haltet Euch an das KISS-Prinzip beim Aufbau Eures Geschäftsmodells”.

Und immer wieder das KISS-Prinzip

Dieses KISS-Prinzip wird ja unterschiedlich übersetzt, hier halten wir uns mal an die Definition von “Keep It Simple and Stupid”.

Insbesondere im B2C-Bereich will man den Endkunden nicht mit zu komplexen Geschäftsmodellen überfordern, das Produkt oder die Dienstleistungen sollen am besten noch Spaß machen und das Geld verdienen quasi im Vorbeigehen funktionieren. Die boomende Gaming-Branche, aber auch diverse Social Media-Apps sind dafür beste Beispiele, viele Startups davon beheimatet in Berlin. 

Keine Angst vor Markteintrittsbarrieren

Es ist daher nicht überraschend, dass viele der bekannten Startups und Unicorns aus Berlin auf den ersten Blick einfache Geschäftsmodelle verfolgen und zwar in möglichst nicht so komplexen Märkten, deren Regulierung überschaubar ist. Dort, wo die Markteintrittsbarrieren für junge Gründer*innen nicht zu hoch sind und es ggf. noch Platz für neue Akteure gibt.

Komplexität zu reduzieren sagt sich so leicht

Auch wenn die Umsetzung des KISS-Prinzips in Anwendung auf ein neues Geschäftsmodell meistens alles andere als ”stupid” und “simple” ist, sondern in der Regel hochkomplex und häufig eine der wesentlichen Gründe für ausbleibenden Erfolg.

Gründen in stark regulierten Märkten

Was bedeutet das jedoch im Umkehrschluss für Gründungen in auf den ersten Blick “komplizierten” Wirtschaftsbereichen? Das KISS-Prinzip scheitert vermutlich schon an den gesetzlichen Anforderungen in Wirtschaftsbereichen wie der Finanzwirtschaft, dem Maschinenbau oder der Energie- und Wasserwirtschaft. Und trotzdem sind in den vergangenen Jahren gerade aus diesen Bereichen immer mehr erfolgreiche Neugründungen hervorgegangen, die sich zunehmend am Markt etablieren.

Kickstart dank günstiger Rahmenbedingungen

Entscheidend dafür ist das entsprechende Ökosystem, um die Gründungen zu unterstützen, aber auch die allgemeine Bewusstseinskultur, dass die angebotenen Produkte oder Dienstleistungen gesellschaftlich erforderlich und zukunftsfähig sind.

Green Economy = Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind eine Generationenaufgabe, die nur gelingen kann, wenn sich neue Akteure diesen Themen verschreiben und die entsprechenden Rahmenbedingungen bestehen, die eine nachhaltige Gründungskultur positiv beeinflussen.

Am Beispiel von Berlin, wollen wir Euch aufzeigen, wie dieses Ökosystem in den vergangenen Jahren in der Green Economy gewachsen ist und somit widerlegen, dass es nicht immer alles “dumm” und “einfach” sein muss, um in regulierten Märkten erfolgreich zu sein.

Mitarbeiter schiebt sein Fahrrad zum Feierabend durch das Büro
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Berlin beheimatet und fördert die meisten Green Economy Startups in Deutschland

Berlin als Startup-Hauptstadt Deutschlands hat sich in den vergangenen Jahren auch zur Green Economy Startup-Hauptstadt entwickelt: Denn hier sind mit knapp einem Drittel die meisten Green Economy Startups aus dem Energiebereich beheimatet, deutlich mehr als in jedem anderen Bundesland in Deutschland. Die Startups haben hier zudem die größte Auswahl an Unterstützern: Die Hälfte aller deutschen Inkubatoren für Greentech und Energie sitzt in Berlin.

Perfekte Gründungsbedingungen für die Generation « Fridays-for-Future »

Diese und weitere Erkenntnisse sind Ergebnis der Studie „Inkubationsprogramme in der Energiewirtschaft“, die das Borderstep Institut für Nachhaltigkeit und Innovation in Kooperation mit Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie im Rahmen des Schaufensters für intelligente Energie aus Nordostdeutschland, WindNODE , durchgeführt hat. Die deutschlandweite Studie betrachtet sogenannte Inkubatoren zur Förderung von Startups im Bereich der Green Economy.

Eine Vielzahl an Inkubatoren für ein fruchtbares Ökosystem

Für die Untersuchung wurden 12 Inkubatoren identifiziert, die einen Förderschwerpunkt im Bereich Green Economy aufweisen. Sechs davon haben ihren Hauptsitz in Berlin. 270 Startups haben seit 2011 bundesweit an Programmen in den untersuchten Inkubatoren teilgenommen. Davon sind 81 Startups (30 Prozent) in Berlin beheimatet. An zweiter Stelle folgt Nordrhein-Westfalen mit 27 Gründerteams (9,6 Prozent), knapp vor Sachsen mit 26 Teams (8,5 Prozent). Insgesamt können den 270 Startups über 2200 Arbeitsplätze zugerechnet werden.

Was wird von den Energie-Inkubatoren konkret geboten?

Die 270 untersuchten Startups sind in unterschiedlichen Bereichen der Energiewirtschaft aktiv. Die Bereiche Energieeffizienz (58 Startups), Energie & Daten (56 Startups) sowie Erneuerbare Energien (54 Startups) sind am häufigsten vertreten.

Bei den zwölf untersuchten Inkubatoren werden Gründerteams im Durchschnitt mit 20.000 Euro in „cash“ sowie weiteren Sachleistungen über einen Zeitraum von acht Monaten gefördert. Die Förderspanne ist sehr groß und reicht von 6.000 bis 500.000 Euro. Eine Mehrheit der Programme nimmt zwei Kohorten im Jahr auf. Eine Kohorte umfasst im Durchschnitt sechs Startups.

Was den „grünen“ Startups wichtig ist

Die Vermittlung von Kontakten und die Bereitstellung von finanzieller Unterstützung sind für die befragten Gründerteams die wichtigsten Leistungen eines Inkubators. Verbesserungsbedarf sehen die Teams im Bereich der Rechtsberatung und dem Abbau von Hemmnissen durch Regulierung.

Viele Teams siedeln sich nach dem Abschluss eines Programmes in relativer Nähe zum Standort des Inkubators an, was natürlich auch aus der Perspektive der Standortentwicklung von Städten und Kommunen besonders beachtet wird.

In Berlin wird die Startup-Zukunft grün geschrieben

Welchen positiven Aspekt die Ansiedlung von Inkubatoren haben kann, verdeutlicht Dr. Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie, der Wirtschaftsförderung Berlins: „Inkubatoren siedeln sich dort an, wo die Startups zu finden sind – und das ist auch im Bereich der Green Economy Berlin. Hier entstehen Ideen für die Energiewende, die Startups und Unternehmen gemeinsam erfolgreich zur Marktreife bringen. In Berlin wird die Zukunft grün geschrieben.“

Wichtiger Faktor des Gründungszyklus

Insbesondere in gesetzlich regulierten Märkten mit hohen Markteintrittsbarrieren kommen Inkubatoren- und Akzeleratorenmodellen eine wichtige Rolle für die Entwicklung von jungen Unternehmen zu: „Inkubationsprogramme stellen einen wichtigen Faktor im Gründungszyklus von Startups dar. In den vergangenen Jahren sind eine Vielzahl an Inkubatoren im Bereich der Green Economy entstanden. Mit unserer Studie wurden diese erstmalig wissenschaftlich untersucht. Die Ergebnisse dürften nicht nur für die Programmmanager der einzelnen Programme, sondern insbesondere auch für Startups von besonderem Interesse sein“, verdeutlicht Prof. Dr. Klaus Fichter, Direktor des Borderstep Instituts für Nachhaltigkeit und Innovation.

Das entsprechende Mindset rundet ein Ökosystem ab

Neben den unbestreitbaren Hard Facts für die Existenz eines günstigen Ökosystems für die green Startup Economy, wie einer vielfältigen Inkubatorenlandschaft, Angebote von Co-Working-Spaces und entsprechenden Förderprogrammen, die sich explizit an junge Unternehmen richten, spielt aber auch das Mindset im Ökosystem eine wichtige Rolle. Berlin kann dabei nicht nur auf das Vorhandensein von vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren (Verbände oder NGOs) aus den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Energiewende und nachhaltiges Wirtschaften zählen, sondern bietet auch die erforderlichen Möglichkeiten des direkten Austausches und der Vernetzung, insbesondere auch mit internationalen Akteuren, Investoren und Multiplikatoren.

365 Tage Möglichkeiten zur Vernetzung

Was die überregionale Strahlkraft und das Adressieren globaler Herausforderungen anbelangt, ist an dieser Stelle insbesondere das dena Startup Energy Transition Tech Festival  zu nennen. Dieses Konferenz- und Matchmaking-Format mit integrierter Preisverleihung wurde in den vergangenen Jahren als offizielles Side-Event des Berlin Energy Transition Dialogues durchgeführt und ist mittlerweile international fest etabliert bei Startups mit Lösungsansätzen für die Energiewende weltweit. Basierend auf der von der dena initiierten Plattform Start Up Energy Transition, steht das Tech Festival mit seinem Startup-Wettbewerb sinnbildlich für das Berliner Ökosystem.

Aber auch andere Wettbewerbsformate in Berlin wie der Start Green Award, das Greentech Festival oder auch der lokale, vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg organisierte Wettbewerb „Green Buddy Award“ fokussieren gezielt auch auf junge, grüne Unternehmen aus den Bereich Umwelt- und Energiewirtschaft. Hinzu kommt, dass selbst ansässige Inkubatoren wie bspw. InnoEnergy mittlerweile ihre zuvor in verschiedenen europäischen Städten durchgeführten, jährlichen Vernetzungsevents, wie „The Business Booster“ nach Berlin geholt haben.

Neue Wege geht auch das A32 Entrepreneurs Forum in Berlin Siemensstadt, ein über 1000 m2 großer Raum für Coworking und Events in einer umgebauten Lagerhalle auf dem Gelände des Berliner Dynamowerks. Die Halle wird von Einheiten der Siemens AG ebenso wie von Startups genutzt und lädt mit flexiblen Arbeitsplätzen und Kreativflächen zum innovativen Austausch von Ideen zwischen Großkonzern und Gründerteams ein.

Gesundes Ökosystem = Gesunde (krisenfeste) Startups

Diese Beispiele geben nur einen kleinen Einblick in das ausgeprägte Berliner Ökosystem für Gründungen aus der Green Economy. Sie zeigen, dass es auch in pandemie bedingten Krisenzeiten gute Rahmenbedingungen für den Aufbau von jungen Unternehmen mit an Nachhaltigkeit orientierten Geschäftsmodellen gab.

Gerade Startups aus der Green Economy können es mit innovativen Strategien schaffen besonders Krisen resiliente Geschäftsmodelle aufzubauen, die nicht unabhängig von den Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie sind, sondern aktive Beiträge für den Umwelt- und Klimaschutz leisten. Berlin bietet für diese Startups ideale Voraussetzungen mit einem vielfältig ausgestalteten Ökosystem. Die im Artikel zitierte Studie zu „Inkubationsprogrammen in der Energiewirtschaft“ ist hier online verfügbar.

Der Autor Benjamin Horn mit Zitat

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