Attila von Unruh war jahrelang Unternehmer. Seine erfolgreiche Firma verkaufte er an einen Geschäftspartner, blieb aber Bürge. Als ein großer Auftrag platzte, musste Herr von Unruh dafür einstehen. Der erfolgsverwöhnte von Unruh war auf eimal pleite, in einer Gesellschaft, die dem Scheitern nicht unbedingt wohlwollend gegenübersteht. Mit wem reden? Wohin konnte man sich wenden? Bank und Insolvenzverwalter vertreten die Interessen der Gläubiger. Freunde und Familie sind auch nicht der richtige Ansprechpartner.

„Der Staat muss eine Balance zwischen dem Schutz der Interessen der Banken und Inkassofirmen und dem Allgemeinwohl finden.“

Aus diesem Grund gründete Attila von Unruh die Selbsthilfegruppe „Anonyme Insolvenzer“, die schnell zu einem bundesweiten Netzwerk heranwuchs. Er baute den „Bundesverband Menschen in Insolvenz und neue Chancen e.V.“ auf und wurde mit dem Deutschen Engagementpreis ausgezeichnet. Seit 2013 berät er von Insolvenz bedrohte Unternehmer mit seinem Sozialunternehmen Team U.

Herr von Unruh, bitte erzählen Sie uns etwas zu Ihrer Person. Wie alt waren Sie, als Sie Ihr erstes Unternehmen gründeten? 

Ich habe bereits mit 16 Jahren angefangen neben der Schule zu arbeiten, und bin auch nach der Schule direkt in die Arbeitswelt eingestiegen, statt zu studieren. Mein Lebenslauf war kein klassischer: Ich habe bei der Lufthansa gearbeitet, in einem Reisebüro, ich habe eine Eventmarketingagentur mit 50 Mitarbeitern aufgebaut. Ende des Jahres 1999 habe ich mich dann als Unternehmensberater für Marketing selbstständig gemacht.

 Warum haben Sie Insolvenz angemeldet?

Ich habe meine Beratungsfirma an einen guten Geschäftspartner verkauft, dieser bat mich ihm noch etwas Zeit zu geben, bevor ich meine Bürgschaft auflöse. Er hatte einen großen Deal mit einer Produktionsfirma abgeschlossen, leider zog diese den Auftrag kurzfristig zurück. Ich war der letzte in der Kette, gleich einem Domino-Effekt, musste ich den Deckel bezahlen.

Haben Sie lange versucht die Insolvenz abzuwenden oder war Ihnen schnell klar, dass es keinen anderen Weg geben wird?

Leider habe ich 5 Jahre lang versucht mit der Bank zu verhandeln, was ich im Rückblick niemandem raten würde. Man sollte sich schnell an einen Fachanwalt für Insolvenzrecht wenden und versuchen einen Vergleich zu erzielen. Möglichst, wenn man noch die nötige Liquidität besitzt. Ich rate davon ab, in Eigenregie mit der Bank zu verhandeln oder sich von Steuerberatern oder Anwälten, die auf ein anderes Fachgebiet spezialisiert sind, vertreten zu lassen.

Wie wurden Sie von der Bank behandelt?

Für die Bank ist man in erster Linie Schuldner, sie möchte ihr Geld zurück und nimmt dabei wenig Rücksicht auf die Umstände dahinter.

Man hört immer wieder, dass die Insolvenz eine Erleichterung darstellen soll, inwiefern können Sie dies bestätigen?

Das kommt auf die Geschichte an, die man sich erzählt. Sage ich mir, dass die Insolvenz mein Versagen zementiert, dann bedeutet es keine Erleichterung. Sehe ich sie aber als Chance auf einen Neuanfang, dann ist es durchaus eine Erleichterung. Sie kann eine neue Perspektive bieten.

Wie wird man von einem Insolvenzverwalter behandelt?

Für den Insolvenzverwalter ist man lediglich ein Aktenzeichen. Er vertritt die Interessen der Gläubiger. Fragt man ihn, wie man damit umgeht, dass man keinerlei Verträge mehr abschließen kann, gibt er darauf keine Antwort bzw. zuckt mit den Schultern, das ist schlichtweg nicht sein Gebiet.

Genau aus diesem Grund entstand die Selbsthilfegruppe für Insolvenzler. Man braucht einen geschützten Raum, in dem man miteinander reden kann, ohne dass man verurteilt wird. Der Austausch mit Gleichgesinnten ist extrem wichtig, gerade bei einem derartig stark tabuisierten Thema.

Worauf führen Sie die soziale Kriminalisierung des Scheiterns in Deutschland zurück?

Ich würde es nicht unbedingt Kriminalisierung nennen, ich würde eher von einer Stigmatisierung sprechen.

Man bekommt weder einen Mietvertrag noch eine 2. Chance eine Firma zu gründen, kommt das nicht einer Kriminalisierung gleich?

Wie auch immer man es nennen mag, ich denke, dass es damit zusammenhängt, wie eine Gesellschaft Erfolg definiert: Macht, Status, Geld – diese Dinge bedeuten Erfolg. Wer gescheitert ist, gehört nicht mehr dazu. Man möchte nicht Teil dieser Gruppe sein, nicht selbst als gescheitert gelten.

Was denken Sie, warum andere Länder wie Großbritannien eine deutlich wohlwollendere Haltung dem Scheitern gegenüber haben, obwohl sich die Gesellschaft auch über Status und Geld definiert? Inwiefern wäre diese Herangehensweise in Deutschland zu adaptieren?

In Deutschland gilt leider immer noch: Schulden = Schuld. Die Geisteshaltung: Der Schuldner soll bestraft werden, wenn er seine Schulden nicht zahlen kann.

Bestrafung war früher der Schuldenturm oder Pranger – heute ist es der SCHUFA-Eintrag, der aller Welt mitteilt, dass der Mensch nicht kreditwürdig ist. Egal, was Auslöser der Verschuldungs-Situation war.

In Großbritannien wird das Thema pragmatischer gesehen, wenn jemand sich nicht kriminell verhalten hat und Gläubiger betrogen hat, soll er / sie schnell wieder in die Gesellschaft integriert werden und wieder am wirtschaftlichen Leben teilnehmen können.

Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, dass die Insolvenz 6 Jahre dauern muss, damit man nicht immer wieder in die gleiche Falle tappt und leichtfertig Unternehmen gründet, ohne das Scheitern zu reflektieren?

Es geht im ersten Schritt darum, seine Situation zu reflektieren und zu schauen, was war mein Anteil daran? Vielleicht habe ich mich zu sehr auf bestimmte Felder konzentriert und dabei andere Bereiche aus dem Blick verloren.

Im zweiten Schritt geht es darum, aus den Erfahrungen zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen. Dabei hilft es, über seine Erfahrungen zu sprechen – mit Freunden, Fremden und mit einem guten Coach. Dann gilt es, die Erkenntnisse in den Alltag zu integrieren.

Vielleicht ist jemand ja ein sehr kreativer Mensch, Buchhaltung und Finanzen sind aber nicht so seine / ihre Stärken. Dann sollte sich die Person beim nächsten Mal jemanden suchen, der gut in diesem Bereich ist, damit sie/er sich auf ihre/seine Stärken konzentrieren kann, ohne dass die anderen Bereiche vernachlässigt werden.

Teams sollten möglichst verschiedene Stärken abdecken, damit das Startup erfolgreich sein kann. Bei TEAM U lassen wir uns regelmäßig extern supervidieren – so sehen wir, ob wir noch auf Kurs sind oder unsere Arbeit an die aktuelle Situation anpassen müssen.

Wie bewerten Sie den großen Einfluss der Schufa?

Die Schufa diskriminiert ehrliche Unternehmer. Natürlich muss es eine Bonitätsauskunft geben, aber es ist nicht verhältnismäßig einen Unternehmer 10 Jahre ins Abseits zu stellen. Ein Eintrag gilt als Negativkriterium, dadurch wird verhindert, dass man wieder aufsteht und sich erneut als Entrepreneur versucht.

Der Staat muss eine Balance finden zwischen dem Schutzinteresse der Banken und Inkassofirmen und dem Allgemeinwohl. Es wird Angst geschürt, viele Menschen haben tolle Ideen, trauen sich aber nicht ein Startup zu gründen. Das ist sehr schade, so verhindert man Innovation und Entrepreneurtum. Man sollte den Menschen die Chance geben, etwas auszuprobieren, und zwar wieder und wieder, statt durch die Aussicht auf 10 Jahre Abstellgleis einen Hemmschub zu kreieren. Man muss den Leuten helfen schnell wieder aufzustehen.

 Zeichnet sich denn ein Umdenken ab?

Nein, leider ist die Lobby der Banken und Inkassofirmen derzeit noch viel zu stark.

Müsste man schon in der Schule beginnen, einen anderen Blick auf das Scheitern zu lehren, um ein gesellschaftliches Umdenken zu erreichen?

Unser ganzes Bildungssystem basiert leider immer noch auf der Idee der Selektion, Noten und des Wettbewerbs, statt auf der Förderung der individuellen Stärken und Partizipation. Es geht um Anpassung und nicht um Befähigung. Wer in diesem System scheitert, fällt durch. Wir sollten viel mutiger im Bildungssystem (und in der Wirtschaft) sein, um Menschen zu erlauben, innovativ zu sein. Wer etwas ausprobiert, kann – und wird wahrscheinlich häufig – scheitern. Ziel sollte sein, Dinge auszuprobieren und aus den Fehlern / Erfahrungen zu lernen, anstatt aussortiert zu werden.

Es gibt noch viel zu tun….

 Was kann der einzelne Bürger aktiv gegen das soziale Stigma tun?

Seine Werte überdenken. Überlegen wie wichtig Status und Erfolg wirklich sind. Definiere ich mich nur über Macht und Geld, verurteile ich vorschnell und verliere den Blick für den Menschen hinter der Fassade.

Was würden Sie Neugründern mit auf den Weg geben?

Man sollte sich mit den Risiken auseinandersetzen, sich kritischem Feedback stellen, verschiedene Perspektiven hören, allerdings sollte man Menschen fragen, die sich in dem Bereich auskennen. Viele ältere Unternehmer kennen sich nicht mit Startups aus und können daher einfach keine fundierten Tipps geben und demotivieren vielleicht eher.

Mentoren-Netzwerke sind eine wunderbare Sache. Des Weiteren muss man sich ständig hinterfragen, seinen Kurs anpassen, sollte er in die falsche Richtung führen und Lust haben zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Man darf nicht an alten Handlungsmustern festhalten, man muss verwerfen, was nicht funktioniert.

TeamU:

Aufgrund der großen Nachfrage nach Beratungsangeboten baute Attila von Unruh ein bundesweites Beraternetzwerk auf und gründete 2013 schließlich die Firma „vonUnruh&Team – das Sozialunternehmen für Turnaround Beratung“ sowie die gemeinnützige Stiftung Finanzverstand gGmbH, die 2014 operativ an den Start gingen. Die Organisationen firmieren seit Mitte 2015 unter dem Dach von Team U unter den Namen „Team U – die Turnaround Berater GmbH“ bzw. „Team U – Restart gGmbH“.

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