Bisher war Virtual Reality Science Fiction. Doch plötzlich ist VR allgegenwärtig, nicht zuletzt dank der Tatsache, dass jeder Smartphone-Besitzer die technischen Voraussetzungen für den Eintritt in die neue, virtuelle Wirklichkeit ständig bei sich trägt. Der frisch aus der Taufe gehobene Erste Deutsche Fachverband für Virtual Reality will seinen Teil dazu beitragen, dass Deutschland diesen neuerlichen digitalen Innovationsschub nicht verschläft.
Wer erinnert sich noch an Demolition Man? Ein Film aus grauer Vorzeit, eine Science-Fiction-Vision über ein klinisch reines, bis zur Apathie befriedetes Los Angeles im 21. Jahrhundert. Im Gedächtnis blieb der routinierte Reißer von 1993 weniger wegen seiner schablonenhaften Action-Sequenzen, sondern besonders dank einer Szene: Sandra Bullock und Sylvester Stallone haben Sex – mehr oder weniger: Sie sitzen einander gegenüber, ohne sich zu berühren, und tragen ein Stück Plastik auf dem Kopf, das das gemeinsame Liebesspiel in den Gehirnen der beiden s(t)imuliert. Die Szene spielt im Jahr 2032. Regisseur Marco Brambilla hat sich also bei seiner Zukunftprognose zeitlich ein wenig vertan. Denn virtueller Sex ist möglich, schon jetzt, im Jahre 2015. Und zwar viel, viel besser als im letztlich scheiternden Beischlafversuch in „Demolition Man“.
Das ist freilich nur eine von vielen verheißungsvollen Optionen dieser neuen und vor allem ganz und gar auf dem Boden der Tatsachen gedeihenden Virtuellen Realität, die derzeit an die Tore des Massenmarkts klopft. Googles Cardboard und Oculus Rift sind nur die Vorboten einer Produktoffensive, die spätestens 2016 über uns hinweg rollen wird. Und anders als beim Vorläufer 3D hält die Technik diesmal, was die Werbung verspricht: ein nie dagewesenes, den Betrachter mit allen Sinnen einnehmendes, vollkommen immersives Medienerlebnis.
Die Oculus Rift im Einsatz – Foto: Sergey Galyonkin (Creative Commons)
Den Auftakt haben Cent-Artikel wie das aus dicker Pappe gefalzte GOOGLE CARDBOARD, das Smartphones als Abspielgeräte nutzt, und technisch anspruchsvollere Produkte wie die OCULUS RIFT gemacht. 360-Grad-Inhalte wie Filme, Simulationen oder Games sind allerdings nicht nur für den Einzelnen mit einer Brille, sondern in klassischen Kuppelbauten (Planetarien, mobilen Domzelten) auch gemeinschaftlich nutz- und erlebbar.
Nach der 3D-Pleite giert der Consumer-Markt nach einem neuen Zugpferd, und diesmal sind die Nutzer bereit, sich auf den Karren setzen zu lassen. Die Werbewirtschaft setzt bereits auf die neue Präsentationsform, wie die jüngsten Kampagnen von Renault oder dem Wiener Tourismusverband belegen. Der französische Autobauer bereiste mit mehreren, rund 100 Zuschauer fassenden 25-Meter-Kuppelzelten die Republik, um den neuen Espace in 360 Grad zu promoten. Die Österreicher nutzten die selbe Technik, um in den Hauptstädten Europas für den European Song Contest zu werben.
Eine virtuelle Reise in die Kindheit
Laut Prognosen des renommierten Techcrunch-Blogs wird VR bis 2020 rund 30 Milliarden Euro umsetzen. Welche Phantasie die neue Technik weckt, zeigt die Entscheidung von Facebook-Macher Mark Zuckerberg, die – freilich weit gediehene – Schülerbastelschmiede Oculus für rund zwei Milliarden Dollar zu übernehmen.
Es hat schon Tradition, dass Deutschland den Start in neue Schlüsseltechnologien verschläft. Sinnbildlich dafür steht das 2013 geprägte Merkel-Wort vom „Neuland Internet“. Doch einige wache Köpfe an deutschen Forschungs- und Wirtschaftsstandorten arbeiten dafür, dass es beim Thema VR anders läuft. So hat sich in Köln der Erste Deutsche Fachverband für Virtual Reality (kurz: EDFVR) gegründet. Was nach deutscher Vereinsmeierei klingt, könnte genau der richtige Weg sein, um bei den herrschenden Digital Nachzüglern vom Schlage Merkel und Co. Türen zu öffnen, Bewusstsein zu schaffen und positive Lobbyarbeit zu betreiben.
EDFVR-Vorstand und Co-Gastautor Robin Meijerink
Denn so neu Virtual Reality ist, so vage und uneinheitlich ist das Wissen darüber bei den potenziellen Nutzern. Daran ändern auch Beiträge wie jüngst in den ARD-„Tagesthemen“ kurzfristig wenig. Noch ist die Anbieter-Seite zu unstrukturiert, um das generell vorhandene Interesse ausreichend und vor allem kontinuierlich zu bedienen. Für EDFVR-Vorstand Robin Meijerink ist deshalb klar: „Ein Fachverband, in dem sich engagierte Enthusiasten, Experten aus Wirtschaft und Forschung und Anbieter von Technik und Inhalten gemeinsam organisieren, kann die Entwicklung und Verbreitung von Virtual Reality in Deutschland entscheidend vorantreiben.“
Angesichts des Sitzes in Köln gehören zu den Gründungsmitgliedern bisher vor allem Unternehmer und Wissenschaftler aus dem Rheinland. Die Zielrichtung aber ist klar deutschlandweit ausgerichtet – besser noch: auf den gesamten deutschsprachigen Raum. Erstmals präsentierte sich der Fachverband bei den „Immersive Days“ Anfang Juli 2015 in Köln einem interessierten Publikum. Rund 300 Branchenleader aus den Bereichen Medien, Sport, Verkehr sowie Bau- und Kreativwirtschaft nutzten die Gelegenheit, sich in rund 25 Workshops über die Zukunft von VR und konkrete Anwendungsoptionen in Werbung, Broadcast und Live-Event zu informieren.
Welche speziellen Anwendungen beispielsweise in der Medizin mit Virtual Reality möglich sind – demnächst im zweiten Teil dieses Gastbeitrags!
Nutzbar mit Google Cardboard und einem Smartphone.
Clouds Over Cydra, ein Film über ein syrisches Flüchlingsmädchen
WAA! VR, ein Spiel von Peter Bickhove aus Köln
360-Grad-Musikvideos von
Paul McCartney
Björk (Stonemilker)
Coldplay (Ghost Storys)
Robin Meijerink ist seit mehr als 15 Jahren Unternehmer in der IT-Branche. Er ist Mitgründer mehrerer Unternehmen (u.a. serie a logistics solutions AG) und gegenwärtig Geschäftsführer der ersten deutschen Fullservice-Agentur für Virtual Reality und 360 Grad-Video HeadTrip.
Sebastian Züger (Bild oben) ist Autor, Journalist und PR-Experte für TV, Film, Internet und Werbung, u.a. tätig für den WDR, die GAG und die eitelsonnenschein Filmproduktion. Zuletzt war er PR-Beauftragter von VIOSO einem Düsseldorfer Spezialisten für 360-Grad-Projektionen. Beim EDFVR ist er für die Pressearbeit zuständig.