Ich treffe Christian Grobe, Co-Gründer von Billie im Büro des Factoring-Startups. Anmeldung am Empfangsschalter. Er muss uns persönlich abholen. Im Rocket Tower in der Mitte Berlins herrschen hohe Sicherheitsstandards. Wir fahren mit dem Fahrstuhl ins 14. Stockwerk. Konzentrierter Trubel in den Räumen hinter einer schweren Holztür. Christian Grobe holt Getränke und sucht einen freien Besprechungsraum. Als wir uns setzen, schwärmt er von den Räumlichkeiten – vor allem die verstellbaren Tische haben es ihm angetan.

Gruenderfreunde:  Obwohl du schon lange im Geschäft bist, hast du deine Begeisterung fürs Gründen offensichtlich nicht verloren…

Christian Grobe:  Das einzige was man aus meiner Sicht braucht, um Gründer zu werden, ist Neugier. Leute, die Neugierig sind, egal ob in der Wissenschaft, im Reisen, in ihrer Freizeit oder im Unternehmertum, können diesen Weg gehen. Als ich an der Uni war, wollte ich an der Uni bleiben und Professor werden. Dann kam ich durch einen Zufall zu McKinsey. Da habe ich gemerkt, dass es in der Unternehmerwelt eine Menge spannende Alltagsprobleme gibt, die man mit einem neuen Geschäftsmodell lösen kann. Dass man dort den Unterschied machen kann. So bin ich zum Unternehmertum gekommen.

Gruenderfreunde:  Du hast dann mit Rocket Internet dein erstes Startup Zencap aufgebaut. Wie kam es dazu?

Christian Grobe:  Es ist ja kein Geheimnis, dass Oliver Samwer immer wieder in den McKinsey-Gefilden wildert.  Lacht.  Die eCommerce-Phase rund um 2008 war noch zu früh für mich und mein Interesse für diese Modelle offen gesagt nicht groß genug. Aber wir sind immer im Gespräch geblieben. Als sich Rocket dann für Fintech-Themen geöffnet hat und das Kredit-Modell von Zencap auf den Tisch kam, hat es schließlich gepasst.

Gruenderfreunde:  Jetzt also Billie – worum geht’s da?

Christian Grobe:  Stell dir vor, du bist ein Bauunternehmer und baust für das Land Berlin eine Straße. Berlin bezahlt dich dafür, aber es dauert sechzig bis neunzig Tage nach Abschluss deiner Arbeit, bis du dein Geld bekommst. Diese Wartezeit überbrücken wir mit einer Vorfinanzierung.

Gruenderfreunde:  Wie wird dieses Angebot angenommen?

Christian Grobe:  Überraschend gut. Fast erschreckend gut. Wir vergeben Kredite für ausstehende Rechnungen zwischen 200 und 50.000 Euro. Der Schnitt liegt bei Rechnungen um die zehntausend Euro. Allein in den ersten 6 Wochen haben wir, mit angezogener Marketinghandbremse, knapp dreihundert qualifizierte Registrierungen geschafft. Nun werden wir das Volumen schrittweise nach oben öffnen.

Gruenderfreunde:  Ist es dem Bauunternehmer nicht unangenehm, wenn er ausstehende Rechnungen hat?

Christian Grobe:  Man geht davon aus, dass es in Deutschlandeine eine hohe Zahlungsmoral gäbe. Aber wenn man genau hineinschaut, stellt man fest, dass rund fünfzig Prozent aller B2B –Rechnungen im Schnitt zwei, drei Wochen zu spät bezahlt werden. Man rennt seinem Geld nicht ewig hinterher, aber es wird konsequent zu spät bezahlt. Das ist ein Phänomen, mit dem es jeder Unternehmer zu tun hat. Wenn man das offen anspricht, nimmt man dem Kunden die Scheu. Das geht quer durch die gesamte Wirtschaft. Wir haben also ein weites Portfolio, von der Berliner Werbeagentur bis zum Metallbauer aus Baden-Württemberg.

Gruenderfreunde:  Euer minimalistisches Design dürfte aber eher die Werbeagentur als den Bauunternehmer ansprechen…

Christian Grobe: Wir machen ein kompliziertes Finanzprodukt einfach und transparent. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Das findet gerade bei Unternehmen großen Anklang, die man nicht gleich als online-affin beschreiben würde. Sie verstehen in wenigen Worten, was sie bekommen und was sie dafür geben müssen.

Gruenderfreunde:  Also jetzt ein Leben lang Vorfinanzieren von Bauunternehmern?

Christian Grobe:  Lacht.  Wir konzentrieren uns momentan total auf Billie. Wir glauben, dass wir in einer extrem guten Nische sitzen. Das wollen wir aufbauen und groß machen.Aber wenn die Vergangenheit ein guter Indikator für die Zukunft ist, dann würde ich vermuten, ich mache nicht mein ganzes Leben lang Billie. Ich kann es natürlich nicht sagen. Ich habe irgendwann aufgehört, länger zu planen als die nächsten drei, vier Jahre.

Gruenderfreunde:  Was sagt deine Familie zu so viel Flexibilität?

Christian Grobe:  Unsere Konstante im Leben ist Berlin. Hier werden wir, wenn nicht etwas ganz unvorhersehbares passiert, bis zur Rente leben. Meine Frau ist in einem Ministerium beschäftigt, hat also einen Job mit festem Arbeitgeber. Dort wird sie sicher über die nächsten zwanzig, dreißig Jahre bleiben.

Gruenderfreunde:  Und deine Eltern, was halten die vom Gründer-Risiko?

Christian Grobe:  Meine Eltern fanden schon den Plan mit der Universitäts-Karriere suspekt. Als ich dann bei McKinsey aufgehört habe, haben die gesagt: „Oh Gott, der schöne Firmenwagen, bist du dir sicher? Du kannst doch nicht die ganzen Privilegien aufgeben!“ Sie hatten beide seit dem sechzehnten Lebensjahr bis zur Rente denselben Arbeitgeber. Das ist eine vollkommen andere Perspektive auf Risiko und Stetigkeit. In der ländlichen Struktur, aus der sie kommen, ist Unternehmertum noch nicht so verbreitet wie hier.

Gruenderfreunde:  Ist unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht gespalten?

Christian Grobe:  Nicht in jung und alt. Es ist vielmehr eine kulturelle Frage. Die große Trennlinie liegt zwischen denjenigen, die verstehen, dass man erst mal investieren muss, wenn man ein neues Geschäftsmodell wirklich groß aufziehen möchte, was natürlich mit Verlusten einhergeht. Und denjenigen, die eine eher risikoaverse, deutsche Mentalität haben. Die wie früher in Planungszyklen von zehn, zwanzig, dreißig Jahren denken und glauben, dass nur da, wo nach kurzer Zeit auch Gewinne gemacht werden, ein gutes Unternehmen entstanden ist. Aber so funktioniert Venture Capital nicht.

Gruenderfreunde:  Was passiert mit den Mitgliedern unserer Gesellschaft, die bei diesem Tempo nicht Schritt halten können?

Christian Grobe:  Das ist eine der großen Fragen unserer Zeit: „Welches ist das richtige Maß an Gerechtigkeit und Umverteilung?“ Und zwar nicht nur zwischen Generationen, sondern auch zwischen Menschen mit unterschiedlichem beruflichem Erfolg. Innovation entsteht nur da, wo Leute mutige Entscheidungen treffen und Neues ausprobieren. Wie man den Wohlstand, der daraus entsteht, verteilt – das ist eine andere Frage. Aber es ist auch in Deutschland ein wichtiges Thema, obwohl es uns im historischen und internationalen Vergleich gut geht. Wir haben zum Beispiel seit zwanzig Jahren stagnierende Real-Löhne. Wir haben Globalisierungsgewinne, die vornehmlich Gruppen mit ohnehin schon großem Vermögen zukommen. Ohne zu sehr in die Politik abzudriften, das sind Themen, bei denen ich persönlich Handlungsbedarf sehe.

Als ich mein Aufnahmegerät ausschalte, schweift mein Blick aus dem Fenster des Büros über Berlin. Hier werden wirtschaftliche und politische Entscheidungen getroffen. Hier wird Christian Grobes Frage beantwortet werden. Im nah gelegenen Springer-Gebäude, im Bundestag, aber eben auch hier, in einem vergleichsweise kleinen Büro mit weißen Möbeln und Flipchart-Blättern an den Wänden. Die Tür fällt hinter mir zu. Unten gebe ich meinen Besucher-Ausweis ab. Vor der Tür des Rocket-Towers reißt ein Bauarbeiter die Straße auf.

 

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