Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat bereits heute schon einen festen Stellenwert und erfuhr zuletzt durch die Corona-Pandemie noch einmal ordentlich Aufwind. Berlin hat sich in den letzten Jahren zum Hotspot der Szene entwickelt und immer neue Akteure schließen sich an. Zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden durchgeführt, jeden Monat werden innovative Digital Health Start-ups gegründet und neue Initiativen angesiedelt. Berlin hat sich damit zu einem der führenden Gesundheitsstandorten Europas entwickelt und wird aufgrund des besonderen Ökosystems einen wichtigen Beitrag für die Gesundheitsversorgung der Zukunft liefern können.

Doch wie sieht die Gesundheitsversorgung von morgen aus? Eines ist klar: Gesundheits-Apps, Smart Watches, elektronische Patientenakten, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), digitale Pflegeanwendungen (DiPAs), eRezepte und künstliche Intelligenz (KI) in Krankenhäusern, z.B: der vernetzte OP, die Anbindung an die digitale Infrastruktur der Krankenhausinformations- und Praxisinformationssysteme oder die Videosprechstunde mit einer Ärzt:in von zu Hause aus, wird der Standard werden.

Durch den demografischen Wandel steigt nicht nur der Bedarf an Ärzt:innen, Pfleger:innen, Gesundheitsmanager:innen, sondern auch an Pharma- und Medizinprodukten. In der älter werdenden Gesellschaft gibt es weniger qualifizierte Nachwuchskräfte, dafür aber immer mehr Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Gleichzeitig bieten diese Herausforderungen ein enormes Potenzial für digitale Gesundheitslösungen.

Unterstützt durch den Gesetzgeber mit Maßnahmen wie dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen von 2015 (E-Health-Gesetz), dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) aus dem Jahr 2019,  dem Krankenhaus Zukunftsgesetz (KHZG) von 2020 oder dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) das Mitte diesen Jahres in Kraft getreten ist, entwickelt sich das deutsche Gesundheitswesen zu einer der dynamischsten Wirtschaftsbranchen mit hoher Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung.

Berlin – der Hotspot für digitale Gesundheit

Zahlreiche wichtige Akteure, die die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben, sind in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg vertreten. Berlin gilt als einer der attraktivsten Life-Science- und Gesundheitsstandorte Europas mit einem umfassenden Portfolio an Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Kliniken, Dienstleistern und etablierten Netzwerken. Die Stärke der Region liegt vor allem in der einzigartigen Forschungs- und Kliniklandschaft sowie in der engen Vernetzung zwischen den Akteuren aus Forschung, Klinik und Industrie.

Mit mehr als 600 Biotech-, Pharma- und Medtech-Unternehmen sowie 130 Krankenhäusern, ist die Region auch ein wichtiger Knotenpunkt der Life-Sciences, darunter eine wachsende Zahl von IT-Unternehmen mit Fokus auf den Gesundheitsmarkt. Dieses Umfeld bietet ideale Bedingungen für die Entwicklung, Evaluierung und Vermarktung innovativer, digitaler Gesundheitslösungen. Zu dem kann die Nähe zur Politik und Entscheidungsträgern vorteilhaft sein.

Start-Ups treffen auf Grown-Ups

Neben Branchengrößen wie u.a. BIOTRONIK, B. Braun Melsungen AG, Bayer AG, Berlin-Chemie AG, Berlin Heart GmbH oder Cerner – mit Sitz in der Hauptstadtregion haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Start-ups gegründet. Bereits über 150 Digital-Health-Startups beheimatet die deutsche Hauptstadtregion  und es werden jährlich mehr. Sie entwickeln mobile Apps und Wearables, um Patient:innen mit chronischen Erkrankungen, psychischen Leiden oder im Hinblick auf Prävention zu unterstützen. Zu dem liefern sie einen enormen Beitrag zum Patient-Empowerment und Selbstmanagement sowie eine enorme Entlastung der Ärzteschaft. Modernste Technologien wie maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und Big Data, aber auch hoch-innovative Sensorik beschleunigen neue Anwendungen im Patientenmonitoring und der Diagnostik.

Laut Expert:innen schafft es von zehn  Start-ups nur eins wirklich erfolgreich zu sein. Ada Health gehört mittlerweile sicher zu den  bekanntesten, auch über die Landes- und Bundesgrenzen hinweg. Ada ist Vorreiter mit ihrer Symptomtracking App und bietet so Laien Handlungsempfehlungen. Ada selbst stellt keine Diagnosen, kann aber mögliche Ursachen für die Symptome aufzeigen und so auch Ärzt:innen bei der Diagnosestellung unterstützen. Gerade in diesem Jahr hat Ada eine Finanzierungssumme in Höhe von 90 Millionen US-Dollar eingeworben. Auch Vara Healthcare – eine KI unterstütze Software für die Diagnose von Brustkrebs soll Radiologen unterstützen. Das Spin-off des Company Builder Merantix AG erhielt 2020 6,5 Millionen Euro einer Series A Finanzierung und ist Deutschlands erste CE-zertifizierte KI-Plattform der Risikoklasse IIb. Auch Doctolib mit deutschem Headquater in Berlin hat es geschafft, sich als Terminbuchungsplattform in Arztpraxen zu etablieren. Nicht zuletzt führte die Vergabe von Impfterminen aufgrund der Covid-Pandemie noch einmal zu einer verstärkten Implementierung und Nutzung. Weitere digital health Start-ups auf Erfolgskurs in der Hauptstadtregion sind:  Clue, KRY, Heartbeat Medical, Cara Care, Lindera, Mediaire und Selfapy, um nur einzelne zu nennen.

Das dynamische Startup-Ökosystem in der Region ist stark selbstorganisiert und bietet jungen Pionieren ein breites Spektrum an Events wie Meet-ups, Seed-Camps, Hackathons und Formate wie das vom Cluster HealthCapital ausgerichtete Barcamp Health-IT oder der Treffpunkt Medizintechnik. Hinzu kommt, dass immer mehr Global Player und in Berlin ansässige Unternehmen den Kontakt zu Start-ups suchen, um neue digitale Produkte und Methoden für den Gesundheitsmarkt zu entwickeln. Berlin beherbergt über eine VIelzahl an Acceleratoren und Inkubatoren, wovon viele auf den Gesundheitssektor fokussiert sind. Viele große Unternehmen haben hier ihre eigenen Programme ins Leben gerufen, um Partnerschaften in der digitalen Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Hier sind vor allem der G4A Accelerator von Bayer , das Berlin Healthcare Lab von Pfizer Deutschland , RoxHealth von Roche und Biome von Novartis zu nennen. Darüber hinaus haben sich an zahlreichen Hochschulen und Universitäten Gründungszentren etabliert wie z.B. der Berliner Start-up Incubator der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und der Beuth Hochschule, oder der BIH-Accelerator des Berlin Institut of Health der Charité Universitätsmedizin Berlin. Darüber hinaus gibt es noch andere eigenständige Incubatoren und Acceleratoren wie die Vision Health Pionners oder der Grace Accelerator. Auch der helios.hub des Krankenhausbetreibers Helios Kliniken GmbH bietet Gründer:innen und Start-ups eine Plattform für Innovationen und das Unternehmen Flying Health begleitet nationale und internationale Start-ups in der Umsetzung von zukunftsfähigen Strategien für den Gesundheitsmarkt.

Förderung und Finanzierung

Eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Investor:innen ergänzt diese Angebote durch verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten, wie z.B. Mentoring und Coachings zum Thema Förderung und Finanzierung , die das immense Potenzial in der Region Berlin-Brandenburg verstärken. Zudem gibt es zahlreiche öffentliche Förderprogramme, wie z.B. den GründungsBONUS, den Innovationsassistenten, den Transferbonus oder das Programm ProFIT bei denen junge Unternehmen Zuschüsse für Ihre Forschungs- und Entwicklungsprojekte beantragen können.

Laut einer Analyse von EY gab es in Berlin 2021 erneut besonders rege Aktivitäten bei der Start-up Finanzierung. Dieser Bericht zeigt auch, dass die Bundeshauptstadt ihren Vorsprung gegenüber den anderen Bundesländern sogar weiter ausbauen konnte. Demnach kletterte die Zahl der Finanzierungsrunden in Berlin um 74% auf 263. Das Investitionsvolumen hat sich sogar von 1,2 auf 4,1 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Die übrigen Bundesländer folgen mit großem Abstand.

Zukunftsweisende Projekte auf internationalem Niveau

Telemedizin und die elektronische Vernetzung zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen gehören zu den wichtigsten Themen, die in Berlin-Brandenburg aktiv vorangetrieben werden. Gerade auch im Hinblick auf die Vernetzung zwischen Metropolregion und ländlichen Gebieten bietet Berlin-Brandenburg enormes Potenzial für spannende Projekte im Bereich der Telemedizin.  In den letzten Jahren sind mehrere international beachtete telemedizinische Studien, wie der Fontane Studie oder CardioBBEAT in der Region durchgeführt worden, die neben wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnen auch zur Entwicklung marktreifer telemedizinischer Produkte durch Industriepartner geführt haben. Aufbauend auf die Fontane Studie zielt Telemed5000 darauf ab, ein intelligentes System zur telemedizinischen Mitbetreuung von mehreren tausend kardiologischen Risikopatient:innen  zu entwickeln. Außerdem entwickelt und erprobt das Projekt 5GMedCamp ein 5G-basierten kontinuierlichen Vitaldatentransfer in Kombination mit einem KI-basierten klinischen Entscheidungsunterstützungssystems. Fokus liegt hierbei auf der telemedizinischen Mitbetreuung von Patient:innen  nach Implantation eines permanenten Linksherzunterstützungssystems („left ventricular assist system, LVAD). Dieses Projekt zielt mit dessen Grundlagenforschung auch auf die Erstanwendung eines 5G-Campusnetzes im Gesundheitsbereich ab. Aber nicht nur die Charité widmet sich der Erprobung eines 5G vernetzten Campus, sondern auch in Cottbus ist hier viel Bewegung. Mit rund 3,7 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Projekt Thiem5G, bei dem das Carl-Thiem-Klinikum Cottbus (CTK) zu einem der ersten 5G-Krankenhausnetze Deutschlands aufgebaut werden soll. Das 5G-Netz ist der Grundstein für das CTK auf dem Weg zum „Smart Hospital“. Im Konsortium arbeiten hier die Stadt Cottbus, das Carl-Thiem-Klinikum gGmbH in Kooperation mit der Thiem-Research GmbH, dem Fraunhofer-Heinrich-Hertz-Institut und der Brandenburgischen Technische Universität Cottbus-Senftenberg Hand in Hand. Dabei wird der Weg des Patienten in und durch das Krankenhaus betrachtet und digitalisiert.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung und der Einsatz von Big Data-Technologien in der Medizin. Mit dem auf Präzisions- und Systemmedizin spezialisierten Berlin Institute of Health (BIH) oder dem Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering (HPI) in Potsdam wird hier auf internationalem Niveau die Zukunft mitgestaltet. Darüber hinaus ist  das Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD) zu nennen, das ein breites Spektrum an Forschungsthemen sowie eine Plattform für interdisziplinäre Forschung und Wissensaustausch mit den Natur- und Geisteswissenschaften, der Industrie, Start-ups und der Gesellschaft bietet. Zudem hat auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DKFI) einen Standort in Berlin.

Die wichtigsten Akteure alle beisammen

Die Hauptstadtregion zeichnet sich auch durch ein vielfältiges Angebot an Veranstaltungen und Messen wie dem World Health Summit, Charité BIH Entrepreneurship Summit, der BIONNALE und der DMEA, Europas wichtigster Messe zur sektorenübergreifenden digitalen Vernetzung in der Gesundheit, aus. Neben dem Parlament, Regierungs- und Bundesbehörden, haben auch Verbände für Wirtschaft und Wissenschaft ihren Sitz in Berlin. Im September 2021 wurde der WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence in Berlin eröffnet, um die Themen der globalen Gesundheit am Standort voranzutreiben und der Welt bessere Daten, Analysen und Entscheidungen zur Verfügung zu stellen, um Gesundheitsnotfälle zu erkennen und darauf zu reagieren. Die Hauptstadt bietet mit ihrer Nähe zu Bundesministerien, Botschaften und Organisationen  einen wertvollen Zugang zu Entscheidungsträgern in Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb.

Zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für alle Fragen rund um die Gesundheitswirtschaft in der Hauptstadtregion ist das Clustermanagement HealthCapital. An der Schnittstelle von Wirtschaft, Wissenschaft und Kliniken treibt das Clustermanagement die Vernetzung und den Technologietransfer voran und unterstützt ansiedlungsinteressierte Unternehmen in der Region. Verantwortlich für das Clustermanagement sind BerlinPartner und die Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB).

Zu den Autorinnen

Dr. Susann Kleinsimon und Katharina Repp sind bei der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH im Bereich Gesundheitswirtschaft beschäftigt und betreuen die Themen Medizintechnik und Digital Health. Ihre Schwerpunkte liegen vor allem in der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, dem Innovationsmanagement sowie der Begleitung von FuE-Projekten und Gründungen. Darüber hinaus initiieren sie verschiedene ausschlaggebende Formate wie z.B. das „Barcamp Health-IT“ sowie den „Treffpunkt Medizintechnik“.

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