Mit einer App spielerisch traumatisierten Kindern helfen, mit dem Recyceln von Reifen die Umwelt schonen, Gemüse auf dem Balkon züchten und endlich einen passenden BH finden – diese und viele andere Themen wurden letztes Wochenende beim Startup Weekend Hamburg innerhalb von nicht einmal 48 Stunden von vagen Ideen in tolle Pitches und Geschäftsmodelle verwandelt. Die Gründerfreunde waren dabei und fassen die Ereignisse zusammen.
Wie ein Startup Weekend abläuft, simulierte in extrem komprimierter Form schon die erste spielerische Aufwärmübung am Freitagabend: Zufällig zusammengestellte Teams entwickeln innerhalb von 15 Minuten rund um einen aus zwei zufällig kombinierten Begriffen bestehenden Firmennamen eine Geschäftsidee, die dann in 60 Sekunden präsentiert wird. Daraus entstand zum Beispiel „Sex & Fireworks“, eine App für ein besseres Liebesleben, und das kam so gut an, dass Teile des Konzeptes bis ins Finale überlebten. Der Sex blieb dabei allerdings auf der Strecke.
Dann begann der eigentliche Wettbewerb: 46 potenzielle Gründerinnen und Gründer stellten jeweils innerhalb von 60 Sekunden ihre Vision vor. Diese Fülle an Informationen überforderte irgendwann auch den aufmerksamsten Zuhörer. Zum Glück konnten alle Ideengeber ihre Konzepte zusätzlich auf Plakate schreiben und auf diese Weise verständlich machen. In dem dafür zur Verfügung gestellten großen Raum im ersten Stock des betahaus Hamburg, wie immer ein hervorragender Gastgeber, herrschte dann eine Atmosphäre irgendwo zwischen Messe und Basar. Es wurde leidenschaftlich gefeilscht um die Plätze in den sich formierenden Teams, und überall fehlte es an Programmentwicklern und Webdesignern.
Die Mentorinnen und Mentoren des Startup Weekend Hamburg 2015 im betahaus Hamburg
Nach einer weiteren ultrakurzen Vorstellungsrunde, die manchmal erhellender war als die 60 Sekunden-Pitches, und letzten Personalverhandlungen fanden sich schließlich 20 Gruppen mit drei bis zehn Mitgliedern zusammen, die sofort mit der Arbeit begannen. An Schlaf war an den nächsten Tagen kaum zu denken, und von so mancher Idee mussten sich die Teams schweren Herzens verabschieden, weil sich ihre Umsetzung als zu schwierig erwies oder der Bedarf dann doch nicht vorhanden war. Auf solche Dinge hinzuweisen war der Job der Mentorinnen und Mentoren, die mit ihrem Fachwissen die potenziellen Startups von morgen in die richtigen Bahnen lenkten.
Am späten Sonntagnachmittag war es dann so weit: Die 19 übrig gebliebenen Teams durften endlich ihre Pitches präsentieren, an denen sie oft noch bis zur letzten Sekunde gearbeitet hatten. Zuvor gab es noch drei spannende Keynotes: May-Lena Signus von nextMedia.Hamburg, einem der Hauptsponsoren des Events, stellte den StartHub vor, eine Anlaufstelle für alle Gründungsinteressierten. Carlos Borges, CEO der Reiseplattform TripRebel, gab zehn Tipps für Startups, die allein schon einen eigenen Bericht wert wären, beispielsweise ein Leitspruch, der in jeder Lebenssituation gelten sollte: „Don’t pretend you know everything!“ Und dann begeisterte Marijo Sarac von Bragi aus München mit einer Erfindung, auf die wirklich viele gewartet haben: drahtlose In-Ear-Kopfhörer. Die auch biometrische Daten messen. Davon (und damit) wird man bestimmt noch einiges hören.
Die AckerKiste hat schon ein eigenes Logo
Aber jetzt, endlich: Pitches! Mehrere Trends zeichneten sich schnell ab: Lösungen für die Jobsuche und den Bewerbungsprozess waren beliebt, Reiseplattformen für Individualtouristen und Tinders für wasauchimmer. Aber es gab auch die schon erwähnte AckerKiste für die eigene kleine Gemüsezucht, Powernaptainers – das sind mobile Schlafplätze für gestresste Messeteilnehmer -, Plattformen für Möbelkäufer oder Profifotografen, eine Onlinelösung für Formularerstellung, eine Share Economy-Idee für Videospiele, eine App für Microspenden und so einiges mehr, was nicht in jedem Fall ganz zu Ende gedacht war, und auch bei den Präsentationen hakte es an der einen oder anderen Stelle, aber wer die ersten Pitches am Freitag gesehen hatte und jetzt erlebte, was daraus geworden war, musste einfach beeindruckt sein.
Zu den Favoriten beim Publikum zählte auf jeden Fall CheatSheet, ein Online-Tutorial, das besonders für kleine und mittlere Unternehmen konzipiert ist und die klassische Mitarbeiterfrage bei IT-Problemen „Wie ging das nochmal?“ zu beantworten helfen soll. Der vorgestellte Prototyp wirkte schon ziemlich ausgereift und erhielt spontanen Applaus. Besondere Sympathie galt dem Teamchef von Advocat, einem Anwalt, der sich mit den Schicksalen von traumatisierten Kindern beschäftigt und eine App entwickeln möchte, mit deren Hilfe man diese Kinder behutsam und spielerisch zu ihrer Lebenssituation befragen kann. Man merkte ihm sein persönliches Engagement in jeder Sekunde an, was ihn leider daran hinderte, seinen Pitch so auf den Punkt zu bringen, dass die Jury ihm einen Preis zusprechen konnte.
Die Preise gingen daher an andere Teams: Den besten Pitch lieferte People Say (Teamfoto oben), eine der Lösungen für die Jobsuche, bei der es konkret um Empfehlungen durch Kollegen und Vorgesetzte geht. Jenni Schwanenberg vom frisch gelaunchten Next Media Accelerator (wir berichteten) ist eine unwiderstehliche Pitcherin und brachte die insgesamt runde Präsentation mitreißend rüber. Ausgezeichnet für das beste Design wurde Nachbarthek. Hier ist die Idee, seine Büchersammlung zu katalogisieren, ins Netz zu stellen und den Nachbarn zum Verleih anzubieten. Ob das eine tragfähige Geschäftsidee ist, sei dahingestellt, aber die Optik der Präsentation gefiel der Jury am besten.
Pendula, die Gewinner beim Startup Weekend Hamburg.
Der wichtigste und von Beginn an als Mitfavorit genannte Gewinner des Abends aber ist Pendula. Dessen Anliegen ist sowohl von gesellschaftlicher Bedeutung als auch als Geschäftsidee global skalierbar, und der Pitch ließ erkennen, dass diese nicht zufällig und über Nacht entstanden ist, sondern von den treibenden Kräften im Team schon lange durchdacht wird. Es geht dabei um Müll, dessen Recycling und wie das alles sinnvoll, umweltschonend und zugleich wirtschaftlich lukrativ organisiert werden kann. Anfangen will Pendula mit Gummi aus alten Reifen, weil hier sowohl Know-how als auch Material und Nachfrage reichlich vorhanden sind. Vieles deutet darauf hin, dass aus diesem Projekt ein erfolgreiches Startup werden kann.
Denn trotz aller enormen Fortschritte, die an diesem einen Wochenende gemacht wurden, sind auch die Siegerteams noch längst keine richtigen Startups. Darauf wies Alfonso von Wunschheim hin, Jurymitglied und selbst erfahrener Gründer und Investor. Vielmehr gehe es bei einem solchen Wettbewerb darum, Erfahrungen zu sammeln, sich selbst, seine Teamfähigkeit und seine Entrepreneurship-Qualitäten auf den Prüfstand zu stellen und daraus seine Lehren zu ziehen. So könne es durchaus sein, dass Teams, die an diesem Abend ohne Auszeichnung nach Hause gehen müssen, später für Investoren interessanter sein werden als die Gewinner, wenn sie nur die richtigen Konsequenten ziehen und ihr Geschäftsmodell ändern oder optimieren. Bezüglich der aktuellen Kandidaten ist von Wunschheim da optimistisch; das Niveau sei sehr hoch gewesen, und die Jury habe zwar die Qual der Wahl gehabt, sich aber doch schnell auf die drei Preisträger einigen können.
So kann auch das Fazit von Serhat Kaya, dem Leiter der Organisation, nur absolut positiv ausfallen. So viele Teams wie noch nie, tolle Pitches, begeistere Zuschauer, die den Raum bis auf den letzten Platz und darüber hinaus füllten, großzügige Sponsoren, allen voran nextMedia.Hamburg und Xing, und natürlich ein hochmotiviertes Orgateam, das mit seiner ehrenamtlichen Arbeit bereits vor sechs Monaten begonnen hatte. Kaya, der das Event schon seit einigen Jahren managt, bestätigt das stetig steigende Niveau und das wachsende Interesse, ein deutliches Zeichen dafür, welche Bedeutung die Startup-Szene inzwischen in und für Hamburg habe. Und so fasst er das vergangene Wochenende in drei Wörtern zusammen, denen auch die Gründerfreunde nichts hinzuzufügen haben: „Schlaflos. Genial! Atemberaubend!“