Wer in Deutschland mit einem Startup scheitert, hat sein Leben lang mit diesem Makel zu kämpfen. Im Sillicon Valley – der Innovationsschmiede schlechthin – sieht das anders aus. Hier gehört Scheitern fast schon zum guten Ton – und als Grundlage für späteres Gelingen. Ein Trend, der mit großen Wogen zu uns rüber schwappt. Der ganze Hype rund ums Scheitern hat sich innerhalb der Startup-Szene in seinen Auswüchsen mittlerweile zu einer regelrechten Modeerscheinung entwickelt – und offenbart neben der „German Angst“ einen weiteren deutschen Wesenszug: den der Übertreibung.
Scheitern als Startup-Gimmick? Trendy bankrott gehen?
Geht’s noch?
Weltweit abgehaltene Fuck-Up-Nights, Messen, Coaching-Angebote, Artikel und Ratgeberbücher machen es deutlich: Scheitern gehört heute zum Lifestyle. Es ist Mode. Gerade die Startup-Branche hat das Thema schon seit einiger Zeit auf der Agenda – mit dem Sillicon Valley als Paradebeispiel und einer Fehlerkultur, die mittlerweile fast genauso zur Pop-Kultur der Berliner Startup-Szene gehört, wie die Tischtennisplatte im Meeting-Room.
Auf der anderen Seite steht da die German Angst. Und auch wenn die Startup-Szene sich dieser Angst vorm scheitern beispielhaft für viele andere Unternehmen stellt. Bleibt die Frage, ob wir den Trend „Scheitern“ wirklich so eins zu eins aus dem Valley übertragen können – wie so manches E-Commerce-Modell aus den USA.
Der einzige Mensch, der nie einen Fehler macht ist der Mensch, der nie etwas tut. Theodore Roosewelt
Gründer berichten überschwänglich über ihren Pivot und sind in dem Zusammenhang ganz offen, was ihre Fehler und die Gründe für ihr anfängliches Scheitern angeht. In vielen Fällen führt der zunächst falsche Weg schließlich zu Innovationen. Zum Erfolg gelangen wir dann tatsächlich über Fehlschläge. Vielleicht ein Grund dafür, warum es so viele knackige Zitate erfolgreicher Unternehmer zu dem Thema gibt.
„Lerne aus dem Scheitern. Wenn Du ein Gründer bist und Dein erstes Unterfangen war kein Erfolg, dann herzlich willkommen im Club.“ Sir Richard Branson
Kritische Stimmen zum Fehler-Kult
Neben all dem Positiven, das dem Prinzip „Fail Forward“ innewohnt, gibt es aber auch kritische Stimmen zum Thema. Holger Petzold, Professor am Lehrstuhl für Unternehmertum an der TU München sieht Events und Veranstaltungen wie viele, die das Thema kritisch betrachten, mit Argusaugen. Er sagt dazu: „Im Moment gilt das Scheitern als enorm populär.“
Yannik Kwik, Chef der Fuckup-Nights Global, kann den in der Aussage mit schwingenden Vorwurf der Glorifizierung nicht nachvollziehen. Eienen Fehler-Kult sieht er nicht. Er sagt: „Wir sprechen lediglich darüber. Indem wir darüber sprechen, hoffen wir, dass Menschen in der Zukunft überlegenere Entscheidungen treffen. Deshalb wollen wir andere am Scheiter-Erlebnis teilhaben lassen.“ Doch all die Artikel, Veranstaltung und Coachings beruhen auf der Annahme, dass man tatsächlich aus seinen Fehlern lernt. Ist das denn tatsächlich immer so?
„Ich bin nicht gescheitert, ich habe einfach zehntausend verschiedene Wege ausprobiert, die nicht funktioniert haben“ Thomas Edison, Erfinder der Glühbirne (beim 10.001sten Versuch)
Wenn ein Gründer ein paar Fähigkeiten hat, dann erzeugt Erfolg noch mehr Erfolg
Laut einer Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung haben Unternehmer, die eine Firma wegen Insolvenz oder anderer Gründe aufgeben mussten, auch mit der zweiten Firma eine höhere Wahrscheinlichkeit bankrott zu gehen. Die Studienautoren attestieren den Studienteilnehmern mit geschäftlichem Misserfolg mangelndes unternehmerisches Talent.
Harvard-Ökonom Paul Gompers zieht eine Bilanz, die das Thema Scheitern in ein anderes Licht setzt. Er verglich erfolgreiche und erfolglose Entrepreneure: solche, die schon in der Vergangenheit Erfolg hatten, waren mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig erfolgreich. Die Erfolgschancen von kontinuierlich erfolgreichen Seriengründern liegen demnach bei 30 Prozent. Die Chance derjenigen, die sich zum ersten Mal mit einem Startup versuchen, bei nur 18 Prozent. Demgegenüber kommt der Entrepreneur, der zuvor bereits ein Unterfangen in den Sand gesetzt hat, auf eine Wahrscheinlichkeit von gerade mal einem Fünftel bei der nächsten Gründung Erfolg zu haben. Grund dafür ist laut Gompers die Annahme, dass ein bereits erfolgreicher Gründer sich selbst bestätigt – und das führt zu dauerhafter Leistung: „Wenn ein Gründer ein paar Fähigkeiten hat, dann erzeugt Erfolg noch mehr Erfolg“.
„Nur diejenigen, die es wagen, im großen Stil zu scheitern, können Großes erreichen.“ Jon F. Kennedy
Es kommt auf die Haltung an
Letztlich geht es auch um die Art und Weise, wie Betroffene das Geschehene verarbeiten. Einige Gründer können Scheitern einfach abhaken und sehen sofort nach vorn, andere hadern erst einmal mit sich und ihrer Rolle als „Versager“. Es kommt also immer auf die individuelle Haltung an.
David Levi, der ursprünglich mit seinem gescheiterten US-Startups tigerbow den Geschenkemarkt aufrütteln wollte, rät: „Gründe ein Startup basierend auf einer einfachen Idee. Aber erinnere Dich auch daran, dass Du einen einfachen, klaren und effektiven Weg benötigst, um früh Fuß zu fassen und den eigenen Nutzen zu demonstrieren, damit die Risiken für potenzielle Investoren geringer werden.“
Wer mehr über das Thema Fehler-Kult und Scheitern erfahren möchte: wie Rückschläge letztlich zum Durchbruch führen können, und welche unterschiedlichen Stimmen es zum Thema Scheitern gibt, erläutert Nadine Schimroszik in ihrem Buch „Rückschläge in Siege verwandeln“ – unserer Meinung nach ein Must-read für Gründerfreunde und angehende Startup-Unternehmer. Die oben genannten Zitate und zitierten Studien sind dem Buch entnommen.
Die Autorin: Nadine Schimroszik ist Wirtschaftsredakteurin bei der Nachrichtenagentur Thomson Reuters in Berlin mit Schwerpunkt auf Technologiethemen wie Rocket Internet und Zalando sowie den großen US-Tech-Riesen wie Apple, Google und Facebook. Sie ist Magister-Absolventin an der Freien Universität Berlin in BWL und Publizistik und hat bereits über die Start-up-Kultur in Berlin publiziert.