Diversität ist ein unterschätzter Erfolgsfaktor für Startups. Aber wie setzt man mehr Diversität um? Wichtig ist, Aufmerksamkeit und Strukturen zu schaffen, sodass Diversität zur Selbstverständlichkeit wird.
Die Realität in der deutschen Startup-Szene sieht so aus: Es gibt gerade einmal knapp 16 Prozent Gründerinnen und noch weniger Investorinnen. Etwa jeder fünfte Gründende hat laut einer Studie von PwC einen Migrationshintergrund. Hier ist noch Luft nach oben.
Chancengleichheit führt zu mehr Diversität in Startups
Damit wir langfristig eine Ergebnisgleichheit erreichen, müssen wir heute die Chancengleichheit verbessern. Aber was bedeutet das? Wahre Chancengleichheit zeichnet sich nicht dadurch aus, dass alle Angebote wie Förderprogramme für jeden offen sind. Die Frage ist, ob sie zugänglich sind.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Die Möglichkeit von einem Venture Capital (VC) oder Business Angel finanziert zu werden, ist auf dem Papier für alle Startups gleich. Die Chance nicht. Die Startbedingungen sind unterschiedlich. Um an den Punkt einer voraussichtlichen Finanzierung zu kommen, muss der Gründer oder die Gründerin einige Anstrengungen unternommen haben.
Das reicht von Selbstvertrauen und Mut, das Risiko einer Gründung einzugehen bis zu einem belastbaren Netzwerk an Investor*innen. Die Chance, dass eine junge Mutter mit Migrationshintergrund, ohne akademischen Abschluss ein Investment erhält, ist unwahrscheinlich. Ein extremes Beispiel? Sicherlich. Zahlen dazu gibt es höchstens in Bezug auf die Geschlechterverteilung.
Der Female Founders Monitor hat ermittelt, dass die Schere zwischen gewünschter und erhaltener Finanzierung bei weiblichen Teams um das Vielfache weiter auseinander geht als bei männlichen Teams. Während mehr als jeder dritte Gründer, der eine VC-Finanzierung anstrebt, diese auch bekommt, sind es bei den Gründerinnen nur jede Zehnte. Bei den Business Angels ist der Unterschied geringer. Ein Grund dafür sind die Skalierbarkeit und Rentabilität des Geschäftsmodells. Ein Investment muss sich lohnen, gleich von wem das Startup geführt wird. Dabei unterschätzen wir aber den “unconcious bias”, unsere unterbewusste Wahrnehmung, die uns voreingenommen werden lässt. Eine Ausprägung davon ist, dass wir automatisch nach Gemeinsamkeiten mit unserem Gegenüber suchen, die uns das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das geht von ähnlichem Kleidungsstil bis zur Frage, ob man an der gleichen Uni studiert hat. Bei Investment-Entscheidungen ist das nicht anders. Die Investoren-Szene ist männlich geprägt und viele gleichen sich in Herkunft und Ausbildung. Durch die Suche nach Ihresgleichen, sind unterschiedliche Einschätzungen bei einem Investment-Pitch wahrscheinlich. So werden bei Gründerinnen häufig andere Kriterien mit abgefragt oder anders gewichtet als bei männlichen Kollegen.
Die gute Nachricht ist, jeder von uns kann dazu beitragen, das zu ändern. Ein Zusammenspiel aus Politik und Wirtschaft ist gefragt, um langfristig und nachhaltig gelebte Diversität umzusetzen. Das Wichtigste: Aufmerksam sein und gewohnte Strukturen hinterfragen.
Hier sind fünf Tipps und Denkanstöße für Unternehmen, wie das gelingen kann.
1. Rekrutierung & Entscheidungsgremien
„Ich will ja mehr Frauen einstellen, aber die bewerben sich einfach nicht“ – das ist ein häufig gehörter Satz. Meist ist es an diesem Punkt schon zu spät. Für eine gut gefüllte Pipeline an diversen Bewerber*innen muss sich das Startup proaktiv im Vorfeld einsetzten. Das gilt nicht nur für Top-Talente, sondern auch für den Dealflow bei VCs oder bei Bewerbungen für ein Accelerator-Programm.
Kleine Anpassungen können große Wirkungen haben. Eine Stellschraube ist das proaktive Scouting von potenziellen Bewerber*innen in Fach-Netzwerken und das Nutzen von Multiplikator*innen aus der Szene. Netzwerke speziell für Frauen, für bestimmte Herkunftsländer oder zu sozialer Mobilität gibt es viele in Deutschland. Sie ermöglichen einen barrierearmen Zugang zu den jeweiligen Gruppen.
Eine weitere Stellschraube ist die Ansprache in Ausschreibungen. Die meisten Ausschreibungen und Angebote entsprechen meist einem weiß-männlich geprägten Kommunikations- und Karrieremuster. Schon allein der Hinweis, dass man nicht alle Anforderungen des Profils zu 100 Prozent erfüllen muss, wirkt Wunder.
Die Macht des “unconcious bias” zeigt sich vor allem bei Auswahlverfahren. Wir urteilen oft vorschnell, basierend auf oberflächlichen Faktoren: Ist der Gegenüber übergewichtig? Hat sie einen ausländischen Namen oder kommt sie aus dem gleichen Ort wie ich? Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein und Entscheidungsgremien dementsprechend divers aufzustellen. Wie wäre es, einfach mal andere Personen aus dem Unternehmen mit ins Vorstellungsgespräch oder in die Pitch-Runde zu holen? Eine ältere Mitarbeiterin achtet beispielsweise auf andere Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten als die klassischen Entscheider*innen. So entgehen einem weder gute Mitarbeitende noch lukrative Investment-Deals oder das nächste Unicorn.
2. Positive Außenwahrnehmung & Positionierung
Eine positive, öffentliche Wahrnehmung zu dem Thema Diversität erleichtert das Scouting und die Rekrutierung für jedes Startup, VC oder Accelerator. Durch Präsenz in den Medien, bei Veranstaltungen und in Diskussion rund um das Thema, werden diverse Bewerber*innen automatisch aufmerksam.
Ein Anfang ist, die Diversität des Unternehmens auf der Homepage darzustellen, ob der Deep-Tech Gründer ohne akademischen Abschluss im Portfolio oder die beteiligte Investorin. Darüber hinaus sollte ein systematischer Aufbau eines Netzwerks und die klare Positionierung pro Diversität, das ernsthafte Interesse des Startups widerspiegeln. Fehler zu machen oder bei Unwissenheit nachzufragen, ist vollkommen akzeptiert. Nur bei einem öffentlich wirksamen Lippenbekenntnis sollte es nicht bleiben.
3. Mindset & interne Strukturen
Diversität muss gelebt werden, damit sie funktioniert. Das beginnt damit, dass sie zum Thema im Unternehmen gemacht wird. Eine offene und transparente Kommunikation führt dazu, dass alle Mitarbeiter*innen an Bord geholt werden, sich der Thematik bewusst sind und sich beteiligen können. Nur so kann Diversität das Unternehmen durchdringen und bleibt nicht ein „Nice-to-Have“.
Dabei sollte es aber nicht bleiben. Es bedarf einer Agenda mit klaren KPIs, bestenfalls gekoppelt an die Unternehmensziele, der Nachverfolgung des Fortschritts und gegebenenfalls der Anpassung der internen Rahmenbedingungen. Förderliche Strukturen für mehr Diversität in Startups sind beispielsweise:
- Offen kommunizierte Antidiskriminierungs-Regeln oder ein Code of Conduct;
- Sensibilisierung von Mitarbeiter*innen in Form von Trainings und Rückkopplungsmechanismen;
- die inklusive Gestaltung des Büros (beispielsweise für stillende Mütter, körperlich behinderte Personen, religiöse Bedürfnisse);
- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen sowie für Männer. Das kann eine Vielzahl von Anpassungen mit sich ziehen in Form von flexiblen Arbeitszeiten, keine entscheidenden Meetings nach 15 Uhr, Teilzeit-Doppelspitzen, betriebseigene Kinderbetreuung oder Rückkehrer*innen-Programme.
Der Schlüssel zum Erfolg ist, die Mitarbeiter*innen nach ihren Bedürfnissen zu fragen und sie in den Anpassungsprozess einzubeziehen.
4. Wegweiser & Aufstiegschancen
Gelebte Diversität spielt sich meistens in den unteren Führungsetagen ab. Je weiter man über das Middle Management hinausgeht, wird es dünn. Interne Mentoring-Programme können eine Möglichkeit bieten, alte Muster zu durchbrechen, diversere Führungskaskaden aufzusetzen und die Pipeline für zukünftige Führungspositionen zu füllen. Programme bei denen explizit unterrepräsentierte Gruppen im Unternehmen angesprochen werden, können Mut machen und Zugang zu sonst verschlossenen Kreisen öffnen. Bei der nächsten Besetzung der C-Level Position steht dann idealerweise ein ganzer Pool an hochqualifizierten Frauen, Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund bereit. Inspiration kann man sich bei diversen Netzwerken und unternehmensunabhängigen Programmen wie MentorMe, Arbeiterkind oder Netzwerk Chancen holen.
5. Vorbilder & Ermutigung
Vorbilder sind nicht alles, aber insbesondere in den frühen Karrierejahren, wichtig. Sie zeigen, dass Stereotype durchbrochen werden können. Selbst Menschen, die nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen, können im kleinen Kreis ein nahbares Vorbild sein. Vor allem aber muss man nicht perfekt sein. Mit der Super-Mom, die mit Leichtigkeit ein Baby, die Startup-Gründung und das nächste Millionen-Investment schaukelt, kann sich kaum jemand identifizieren. Der Appell lautet also, Vorbilder nicht nur auf C-Level, sondern auch auf anderen Karrierestufen sichtbar zu machen. Das ermutigt nicht nur, sondern fördert auch Peer-to-Peer Learning.
Bei allen Punkten gilt: Niemand muss sich in ein vorgefertigtes Bild einfügen. Nicht jeder oder jede muss eine steile Karriere hinlegen oder das nächste Unicorn gründen. Man sollte nur immer die ernsthafte Wahl haben. Dann ist wahre Chancengleichheit erreicht.
Und was hat Berlin damit zu tun?
In Berlin wird Diversität in der Startup-Szene vermehrt vorangetrieben. Nicht nur viele Gründer*innen und Investor*innen, die sich dafür einsetzten, kommen aus Berlin. Auch die Verwaltung zieht mit. 2021 hat die Startup Unit, das offizielle Gremium Berlins, das Thema unter ihre top fünf Schwerpunkte aufgenommen und arbeitet seitdem in einer Arbeitsgruppe aus Wirtschaft und Verwaltung an der Verbesserung der Rahmenbedingungen. Eine Übersicht zu Unterstützungsangeboten für diverse Gründer*innen kann man auf der Homepage downloaden.
Diversität macht nicht an der Landesgrenze halt. Daher hat Berlin zusammen mit Hamburg, Köln und München Ende 2020 die Initiative #FemupStartups gestartet, um Gründerinnen und Investorinnen in Deutschland zu unterstützen. Zusammen organisieren die Städte Events, Kampagnen und Handlungsempfehlungen für die Politik. Mehr dazu bei Linkedin und Twitter unter #FemupStartups.
Weiterführende Links & Deep Reading
Mehr Zahlen, Daten, Fakten zu Deutschlands Gründerinnen-Szene:
- Female Founders Monitor 2020 (Bundesverband Deutsche Startups)
Mehr zu Politik und Gründerinnen:
- Podcast Startup Insider Daily, „Wo sind eigentlich die ganzen Gründerinnen?“ mit Brigitte Zypries;
- Positionspapier zum Thema Diversität und Gründerinnen (Beirat Junge Digitale Wirtschaft beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)
Mehr zu Best-Practices für VCs:
- Guidance and Best Practice Examples for VCs, Private Equity and Institutional Investors 2021 (Adelpha, Astia, atomico, KPMG, Pollen Street);
- Female Founders Pulse Check 2020 (Grace, btov)
Mehr zu Vorurteilen bei der Rekrutierung:
Mehr zu Diversität und Wirtschaftlichkeit:
- Reseach: When Gender-Diversity Makes Firms More Productive (Harvard Business Publishing);
- Wirtschaftliche Vorteile der Geschlechtergleichstellung in der EU (Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen);
- Delivering through Diversity (McKinsey&Company)
Mehr zu wahrgenommener Chancengleichheit:
Zur Autorin
Karolin Erdmann verantwortet bei Berlin Partner das Themengebiet Startups und koordiniert in dieser Rolle nicht nur die Startup Unit, die Brücke zwischen Startup-Welt und Berliner Politik, sondern unterstützt Scale-ups auch bei der Internationalisierung in Wachstumsmärkte. Zudem ist sie Co-Initiatorin der #FemupStartups Initiative und setzt sich in dieser Rolle auf wirtschaftlicher und politischer Ebene für mehr Diversität in der Startup-Szene ein.