Die Welt befindet sich noch immer im Ausnahmezustand. Der Ausbruch und die Verbreitung des Coronavirus zwingen viele Menschen dazu, im Homeoffice zu arbeiten oder in Kurzarbeit zu gehen. Das Leben wird gezwungenermaßen verlangsamt, der Kontakt zu anderen Menschen weitestgehend runtergefahren. Gerade in einer schnelllebigen Gesellschaft, wie der unseren, die auf kontinuierliches Schaffen und konstanten Wachstum aufbaut, kann dies zu vielen Problemen führen. Über uns allen hängt stetig der Zwang beschäftigt zu sein und Aufgaben zu erfüllen. Wenn dieser Teil des eigenen Alltags fehlt, kann man sich schnell nutzlos fühlen und beginnen den Sinn von vielem zu hinterfragen. Hier kommt der, momentan immer häufiger auftretende, Begriff der Entschleunigung ins Spiel.
Was genau bedeutet Entschleunigung?
Der Duden definiert das genannte Substantiv folgendermaßen: Entschleunigung sei eine “gezielte Verlangsamung einer [sich bisher ständig beschleunigenden] Entwicklung einer Tätigkeit ö.Ä.”. Dies würde für unsere Situation bedeuten, den Alltag gezielt zu verlangsamen, um runterzufahren und zur Besinnung zu kommen. Das heißt, die eigenen Prioritäten zu reflektieren und darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Achtsamkeit üben und im Moment sein, um die eigene mentale Gesundheit zu fördern. Gerade in unserer momentanen Situation kommt dieser Begriff immer mehr vor. Durch die Kontaktsperre, geschlossene Lokalitäten und Social Distancing scheint es, als würde uns gezwungenermaßen mehr Zeit als sonst zur Verfügung stehen. Zeit und Möglichkeiten, Dinge in Angriff zu nehmen, die sonst zu kurz kommen.
Ist das überhaupt für alle Umsetzbar?
Das klingt alles zunächst äußerst verführerisch und durch unsere derzeitige Situation einfach umzusetzen. Aber ist es das auch? Denn gerade für Selbstständige, Gründer*innen und Arbeitnehmer*innen in systemrelevanten Berufen sieht die Realität etwas anders aus. Besonders jetzt sind viele dazu gezwungen auf Hochtouren zu arbeiten. Mehr als sonst. Vieles muss umgestellt und neu organisiert werden, um in der Krise standhaft zu bleiben und möglichst wenig Verluste zu machen. Bei Gründer*innen und Selbstständigen steht also eher Krisen-Bewältigung als Entspannung auf dem Tagesprogramm. Obwohl viele möglicherweise auch bereits vor der Krise im Homeoffice gearbeitet haben, muss sich die Mehrheit trotzdem zunächst auf die neue Lage einstellen. Arbeitsabläufe, Meetings, Zeitplanung u.v.m. muss auf digitale Kommunikation umgestellt werden. Zudem erfordert es mehr Arbeit alle Lieferungen und Produktionen so gut es geht am Laufen zu halten, da viele Ressourcen ausfallen. Für Unternehmer und Arbeitgeber bedeutet dies, dass die teaminterne Kommunikation auf Hochtouren laufen und gut organisiert sein muss. All diese Umstellungen erfordern viel Arbeit und Zeit. Hinzu kommen ebenfalls Erwartungen von Familie und Freunden, denn trotz des Social Distancing soll das Leben ja so normal wie möglich weiter gehen.
Vor der Krise vs. Gegenwart
Bevor unsere Gesellschaft und das öffentliche Leben so radikal heruntergefahren wurden, war die Devise: Arbeiten! Erreichbar sein! Beschäftigt bleiben! Unser System ist auf Schnelllebigkeit und stetiges Wachstum ausgerichtet. Wir leben, wenn man es so sagen möchte, in einer “Burger-King Gesellschaft”: Alles muss jetzt und gleich und sofort verfügbar sein. Gerade in einer Stadt wie Berlin, eine Stadt die niemals schläft, wo immer Leben herrscht, erfordert das Leben nun eine neue Struktur. Doch bevor man sich auf all das einlassen kann, muss der eigene Kopf zunächst umprogrammiert werden. Entschleunigung scheint dementsprechend ein Privileg zu sein, das für Gründer*innen und Selbstständige eher in der Form eines Tagtraumes auf der Bildschirmfläche erscheint.
Solidarität ist gefragt
Die momentane Lage erfordert großen Zusammenhalt. Es wird nun mehr als sonst deutlich, dass wir auf viele Bereiche des Alltagslebens angewiesen sind, welche wir bisher für selbstverständlich gehalten haben. Arbeiter in Supermärkten, Apotheken, Krankenhäusern, der Post u.v.m. sind es, die unser Leben weiterhin möglich machen. Gerade sie sollten nun besonders wertgeschätzt werden. Unsere Gesellschaft ist vergleichbar mit einem Dominospiel: Wir bauen alle aufeinander auf und wenn ein Stein umfällt, droht das ganze System in sich zusammenzubrechen. Es liegt jetzt an uns Solidarität zu zeigen, einander unter die Arme zu greifen und zu helfen, wo man kann. So können wir das Dominospiel umbauen und erhalten, statt dabei zuzusehen, wie es Stein für Stein einstürzt.
Entschleunigung in kleinen Momenten praktizieren
Da für viele Entschleunigung realistisch gesehen eher ein Privileg als ein Umstand ist, kann es helfen eben diese in kleinen Tätigkeiten im Alltag zu praktizieren. Struktur und Routine sind eine große Hilfe und ermöglichen es, in kleinen Momenten zu Ruhe zu kommen. So kann man sich selbst ein sicheres Netz aufbauen. Dies kann eine simple Aufgabe sein, wie morgens sein Bett zu machen. Das klingt zunächst äußerst simpel und beinahe etwas lächerlich, hat jedoch enorme Auswirkungen auf die Selbstorganisation und Motivation den Alltag anzugehen. Das kann für jeden anders aussehen. Für manche sind es der Kaffee und die Zigarette am Morgen und für andere das Schreiben einer To-do-Liste für den kommenden Tag. Wenn man bisher vor der Arbeit joggen gegangen ist, ist es jetzt umso wichtiger die eigene Struktur beizubehalten. Das Laufen in der Natur trägt zudem enorm dazu bei, die Geschwindigkeit aus dem Alltag zu nehmen und den Kopf freizuschalten. Man kann also mit bereits kleinen Taten der Achtsamkeit dem inneren Chaos entgegenhalten, wenn es scheint als habe man nichts unter Kontrolle. Man kann folglich den Tag mit einer kleinen, erfolgreich abgeschlossenen Aufgabe beginnen, denn wir wissen: Erledigte Aufgaben fördern Energie und Motivation.
Wir halten fest: Entschleunigung ist nicht für alle ohne weiteres Möglich und Aufgaben sind ebenso wichtig wie Ruhe und Achtsamkeit. Es gilt also, eine gesunde Balance zwischen Beschäftigung und Entschleunigung für sich zu finden. Lasst uns gemeinsam versuchen im Wirbelsturm der Nachrichten, die Augen auf die positiven Dinge zu richten, um umso stärker aus dieser Krise emporsteigen zu können.