“Remote working is a tricky thing.” So lautet ganz oft der erste Satz in Antwortmails auf Anfragen von Gründer/innen aus dem Ausland. Der Satz gilt umso mehr für das Thema Digital Nomads.
Beide Begriffe stehen für Themenbereiche, die nicht zuletzt durch die Pandemie an Bedeutung gewinnen. Die Anzahl an Digital Nomads nimmt kontinuierlich zu, ebenso die Zahl von Regierungen, die Programme auflegen, um diese Zielgruppe zu adressieren. Die größte Welle löste wohl die Regierung in Estland aus, die Mitte 2020 eigens eine Visa-Kategorie für Digital Nomads gesetzlich verankert hat.
Problemlos arbeiten von überall? – so sieht die Entwicklung aus
Estland reagiert damit auf den Umstand, dass Digital Nomads als ortsunabhängige Arbeitskräfte mit Unklarheiten konfrontiert sind, wenn sie auf Reisen arbeiten. Oftmals umgehen sie nationale Bestimmungen, indem sie arbeiten, während sie ein Land mit einem Touristenvisum besuchen. Im neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Deutschland, dass im März 2020 in Kraft trat, findet sich dabei weder der Begriff des Gründers / der Gründerin noch der des „remote working“.
Dies ist umso erstaunlicher da die Bedeutung dieser Personengruppe immer mehr zunimmt. Selbst ein kleiner Staat wie Barbados hat inzwischen ein einjähriges „Barbados Welcome Stamp visa“ Programm aufgelegt. Entspannt in Barbados am Strand sitzen und für ein Berliner Startup arbeiten – so die Vorstellung.
Neben diesen beiden Trends – „work from anywhere“ und „work from home“, ist ein anderer, verwandter Trend ebenfalls auf dem Vormarsch: „Delocation“ oder der Umzug aus teuren, städtischen Zentren in weniger überfüllte oder preiswertere Vororte oder ländliche Gegenden. Wie auch immer wir den Trend nennen, er bringt weiterhin zahlreiche Herausforderungen mit sich, mit denen sich HR- und globale Mobilitätsexperten/innen auseinandersetzen müssen.
Ein wesentlicher Grund für die „Nichtbeachtung“ dieser Zielgruppe in Deutschland liegt genau in dem Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohnort. Mit „Delocation“ verbunden ist das Thema Einkommensteuer. Diese entsteht i. d. R. am Wohnort. Was ist mit der Umsatzsteuer? Wenn Digital Nomads irgendwo anders in der Welt ein Unternehmen angemeldet haben, dann sind die Gewinne daraus unabhängig davon dort zu versteuern, wo das Unternehmen registriert ist, nämlich dem Betriebsort.
Es gibt viele Hilfen dazu im Netz (z. B. von Wireless Life), aber für die Beantwortung dieser Art von Fragen sollte in jedem Fall ein/e Steuerberater/in herangezogen werden. Dieser Artikel soll und kann nicht die Vielzahl an gesetzlichen Regelungen aufzeigen, sondern soll viel mehr aktuelle Entwicklungen beschreiben und Hintergründe beleuchten.
Wenn Gewinne im Ausland versteuert werden, warum also sollte sich Deutschland für diese Zielgruppe interessieren? Das ist die Kernfrage. Und gleichzeitig die häufigste Antwort, wenn man sich mit Behörden zu diesem Thema unterhält. Wer hier keine Umsatzsteuer zahlt und/oder wenig Einkommensteuer abgibt ist uninteressant, lautet die noch immer weit verbreitete Einschätzung.
Digital Nomads in Deutschland
Die Stadt Berlin voller Digital Nomads, die für internationale Kunden arbeiten und hier nur leben? Das scheint derzeit kein wünschenswertes Szenario zu sein. Dabei hat schon Richard Florida in seiner Theorie der kreativen Klasse (Creative class) Anfang 2000 darauf hingewiesen, dass die kreativen Köpfe einer Gesellschaft und die von ihnen ausgehenden Innovationen, entscheidend für das ökonomische Wachstum von Regionen sind. Diese kreative Klasse ist absolut mobil und versammelt sich an Orten, an denen Talent, Toleranz und Technologie anzutreffen sind. Diese drei Treiber ziehen kreative Köpfe wie ein Magnet an und stimulieren Wachstum. Berlin und die Freiheitskampagne sind das beste Beispiel dafür.
Soweit die Theorie. Während also andere Länder daran basteln, ihre Magnetwirkung auf die Digital Nomads zu erhöhen, sind in Deutschland noch vielfach kreative Lösungen gefragt, wie man die Fallstricke umgehen kann.
Es gibt grundsätzlich drei Perspektiven, die man bei dem Thema einnehmen sollte:
- Das Aufenthaltsrecht (sofern man aus dem Nicht-europäischen Ausland) nach Deutschland zieht
- Das Steuerrecht
- Das Sozialversicherungsrecht
Im Aufenthaltsrecht wird zwischen Inhaber/innen einer Unternehmung und Freiberufler/innen unterschieden. Gründer/innen sind in der Regel keines von beidem. Inhaber/innen einer Unternehmung meint, der/die Gründer/in hat bereits in Deutschland ein Unternehmen gegründet (klassisch eine UG oder GmbH) und ist selbst geschäftsführende/r Gesellschafter/in. Mit Freiberufler/innen sind klassisch Freelancer gemeint, die frei für mehrere Auftraggeber/innen lokal tätig sind. Entscheidend beim Aufenthaltsrecht sind hier die Länge des gewünschten Aufenthaltes (kurz- oder langfristig = mehr als 90 Tage pro Halbjahr) und der Zweck des Aufenthaltes. Die Teilnahme an Bootcamps, Coding-Kursen oder Acceleratorkursen sind keine Zwecke, die das Aufenthaltsrecht per Definition kennt. Hier ist es entscheidend, dass man sich rechtzeitig mit der zuständigen Behörde in Verbindung setzt und auslotet, welche gesetzgeberische „Schublade“ am ehesten passen könnte. In Berlin gibt es bei der Ausländerbehörde zum Beispiel einen Firmenservice (den Businessimmigration Service). Die Mitarbeiter/innen dort kennen diese Konstellationen und versuchen Lösungen zu finden. Es ist aber immer eine Einzelfallprüfung, generelle Aussagen gibt es keine. Noch komplizierter wird die Sachlage, wenn Digital Nomads ihre Anträge über deutsche Auslandsvertretungen stellen müssen. Schon bei der Online-Terminbuchung fehlt die entsprechende Kategorie. Vielfach werden Anträge dieser Art schon dort abgeschmettert, weil keine Rechtsgrundlage im Aufenthaltsrecht erkennbar ist. Was wie oben beschrieben formal korrekt ist. Hier hilft nur rechtzeitig bei Wirtschaftsförderungen und deren Services, wie dem Hamburg Welcome Center, dem lokalen Service-Center für internationale Fachkräfte in München oder im Netzwerk, wie das der meetups for internationals, anzuklopfen und Rat einzuholen.
Wenn es um individuelle steuerliche Überlegungen geht, ist jede Situation einzigartig und sollte unbedingt von qualifizierten Fachleuten begutachtet werden. Aber ganz allgemein ist klar, dass grenzüberschreitende Fernarbeit sowohl Arbeitgeber/innen als auch Arbeitnehmer/innen zusätzliche steuerliche Probleme bereiten kann, unabhängig davon, ob diese Grenzen global oder regional sind. Grundsätzlich zahlen Steuerzahler/innen Einkommensteuer an den Staat, in dem sie arbeiten, der als ihr „Steuerwohnsitz“ definiert ist. Obwohl sie ihrem Arbeitsstaat Steuern auf den Verdienst schulden, muss auch im Heimatstaat (Wohnsitzstaat) eine Steuererklärung abgegeben werden und sie zahlen dort möglicherweise auch staatliche Steuern. Es kann also gut sein, dass Arbeitnehmer/innen in zwei Staaten Steuern zahlen müssen oder zumindest eine Steuererklärung abgeben müssen. In der Regel gibt es zwischenstaatliche Abkommen (sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen) in denen diese Fälle geregelt sind. Ohne Steuerberater/in wird man da aber i. d. R. nicht selbst durchblicken.
Für Deutschland gilt in jedem Fall: Nach § 1 Abs. 1 EStG ist jede Person, die in Deutschland wohnt oder sich gewöhnlich aufhält, auch hier unbeschränkt steuerpflichtig. Ob neben einer beschränkten Steuerpflicht in Deutschland auch eine Pflicht im Land gilt, in dem der/die Arbeitnehmer/in arbeitet, hängt von den jeweiligen steuerrechtlichen Vorgaben des Landes ab.
Nicht weniger komplex ist die Beurteilung des Sozialversicherungsrechts. Auch hier sind Arbeitsort und Wohnort die entscheidenden Bezugsgrößen. Das deutsche Gesetz folgt hier dem international anerkannten Grundsatz der lex loci laboris, also der Maxime, dass der Beschäftigungsort die Anwendung des Sozialversicherungsstatuts bestimmt. Der Geltungsbereich des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB) erstreckt sich demzufolge auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Territorialitätsprinzip). Maßgebend für die Beurteilung, ob eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wird, ist der Ort, an dem die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit tatsächlich durchgeführt wird (Beschäftigungsortsprinzip § 9, § 11 SGB IV); das gilt auch für Tele-Arbeitsplätze, sodass der Betriebssitz des Arbeitgebers unerheblich ist.
Um das Thema noch weiter zu verkomplizieren, ist in diesem Zusammenhang der kurze Hinweis auf den Begriff der Entsendung aufzuführen. Entsendung ist ein „alter“ Begriff, der typsicher auf die Konstellation gemünzt ist, dass ein weltweit agierender Konzern eine/n seiner Mitarbeiter/innen in eine Niederlassung schickt, die in einem anderen Land verortet ist. Dazu gibt es juristische Regelungen, z. B. die Entsenderichtlinie. Mit remote working hat das aber wenig zu tun.
Als Fazit lässt sich also festhalten: Die Realität ist schneller als die Gesetzgeber/innen (zum Beispiel die Abhandlung des Deutschen Bundestages zum Mobilen Arbeiten von Juli 2017). Die Zahl der Digital Nomads wächst unabhängig davon, ob alle Aspekte in diesem Zusammenhang transparent und klar sind. Es hilft also nur, sich mit Fachexperten/innen zu beraten, bevor man Entscheidungen trifft. Im Netz findet man viele Hinweise (z. B. von der IHK), aber leider nur wenig in englischer Sprache (z. B.vom Sterling Lexikon).
Deutschland im internationalen Vergleich
Mittlerweile gibt es 18 Länder, die Visa für Digital Nomads anbieten (vgl. hier), jüngst die Cayman-Islands. Es wird Zeit, dass Deutschland auch hier aufholt. Mit der Anzahl der Sonnenstunden auf den Cayman-Islands werden wir nicht mithalten können. Die Cayman-Islands erwarten nach den eigenen Kriterien aber mindestens 100 T Dollar Jahreseinkommen bzw. 150 T Dollar Jahreseinkommen für Paare. Dagegen ist die Hürde zum Beispiel für die blaue Karte mit 56.800 Euro Jahresgehalt sehr gering und ein Pluspunkt auf der deutschen Seite. Im deutschen Aufenthaltsgesetz gibt es zumindest den Paragrafen 21.5., der die Antragstellung für Freiberufler/innen regelt. Während die Cayman-Islands in ihrem Programm zwei Jahre anbieten, ermöglicht das deutsche Recht Aufenthaltstitel von bis zu drei Jahren. Wieder ein Pluspunkt für Deutschland.
In der Bundeshauptstadt entsteht inzwischen jeder 6. neue Job bei den Digitals. Inzwischen sind in Berlins Digitalunternehmen laut der Investitionsbank Berlin rund 110.000 Menschen angestellt. Wie viele davon Digital Nomads sind und/oder remote arbeiten, lässt sich kaum nachzählen. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat dazu einige Untersuchungen angestellt. Spannend ist deren Feststellung, dass sich mit der wirtschaftlichen Globalisierung auch die Formen der Migration von dauerhaft zu temporär verändern. Demnach sind etwa 11 % der Zuwanderer/innen aus Drittstaaten bereits mindestens einmal aus Deutschland fort- und danach erneut zugezogen.
Unsere Erfahrung ist, dass das Ankommen in Deutschland erleichtert wird durch die erste Tür, die ein Digital Nomad öffnet. Deutsche Bürokratie ist manchmal nicht einfach. Und man sollte sich darauf einstellen, dass deutsche Behörden gerne Papier sehen. Vor allem Zuziehende aus den USA erwarten immer das „große Interview“ bei der Einreise. Das wird es so nicht geben. Ausschlaggebend sind die Papiere, die man mit sich trägt.
Deswegen gilt es sich vorab gut zu informieren. Allgemeine Portale wie „Make it in Germany“ geben einen guten Einblick. Manche Ausländerbehörden, wie die Ausländerbehörde Berlin, haben einen Firmenservice und die Mitarbeiter/innen dort versuchen immer im Einzelfall eine Lösung zu finden. Dieser Firmenservice ist dann so eine „richtige“ Tür. Relocation Agenturen sind häufig weitere gute Erstkontakte, die die richtigen Adressen kennen.
Bei Berlin Partner, der Wirtschaftsförderung des Landes Berlin, gibt es auch ein Experten/innen-Team für das Thema. Spannend ist dabei, dass das gesamte Themengebiet nichts ist, was man irgendwie oder irgendwo explizit studieren kann. Das Thema ist komplex und unterliegt permanenten Veränderungen. Die meisten Experten/innen haben sich schlicht viel Erfahrungswissen angeeignet und können demnach entsprechend Empfehlungen aussprechen. Das ist letztlich mein Haupttipp: Suchten sie sich Experten/innen mit hohem Erfahrungswissen und einem pragmatischen Ansatz. Dann findet man auch Lösungen zu Digital Nomads und remote working Konstellationen.
Zum Autor:
Burkhard Volbracht, leitet bei Berlin Partner den Bereich Talent I International. Als gelernter Radakteur und studierter Politologe beschäftigt er sich dabei schon seit 1998 mit dem Berliner Arbeitsmarkt. Im Fokus seiner Arbeit stehen dabei insbesondere Themen der Immigration und des Willkommens-Service. Mit Experten/innen aus anderen europäischen Metropolen entwickelte er dabei u. a. das European Talent Mobility Forum, das Themen wie Talent Attraction Managament for cities and regions und business immigration / international houses vorantreibt.